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PROKRASTINATION, SELBSTVERMESSUNG, PSYCHOTERROR: DAS ALLES MUSS KAPITALISMUSKRITISCH BETRACHTET WERDENDer Krieg gegen dich

JULIA SEELIGER

Mit meiner Echtzeit-Kolumne mute ich manchen Lesern wohl viel zu. Nun bekam ich eine Postkarte.

„Ein Leser“, so hat er unterschrieben, sagt in einer Schrift, die den Eindruck des nicht häufigen Mit-der-Hand-Schreibens macht, „das ist bei dir ein Lebensabschnitt, der hinter dir liegt“. Der Leser rät zu „regelmäßigem Umgang mit Menschen“. Zum Beispiel mit Kindern und Jugendlichen. Auch versucht er mich zu trösten mit der Information, dass „viele Autoren der tageszeitung“ schon von „Sozialhilfe“ gelebt hätten. Und zuletzt sagt der Leser, ich solle aufhören, Alkohol zu trinken und Drogen zu nehmen.

Eigentlich ist es schön, dass der Leser sich Gedanken macht. Zusammenbrüche können schon schocken, wenn sie schriftlich aufgezeichnet sind. Aber ist die Alternative, sie nicht schriftlich aufzuzeichnen? Nein! In einer Welt, in der wir alle funktionieren sollen, soll man auch mal darüber sprechen und schreiben.

Die Autorin Nina Pauer spricht von einer Angst-Generation auf der Psycho-Couch, beklagt, auf ihrem komfortablen Zeit-Feuilleton-Hochsitz hockend, eine wachsende Tendenz zur „Selbstoptimierung“ – streift dabei aber die Kapitalismuskritik nur am Rande. Dabei gibt es immer mehr flexible Beschäftigungsverhältnisse. Gerade im Kreativbereich ist der Wettbewerb hart, die Honorare für Text sinken seit Jahren und eine freundliche und an deren beruflichem Fortkommen orientierte Betreuung freier Autoren gibt es selten.

„In ist, wer drin ist“, heißt es in der 80er Fernsehserie „Kir Royal“. Ein bisschen auch wie das Raumschiff Berlin in der Politik. „Peergroup-Journalismus“ hat der Konservative Jan Fleischhauer das kürzlich genannt. Der deutsche Feuilletonist schreibe nicht für den Leser, sondern für die 200, 300 Leute, die „hoffentlich gehörig davon beeindruckt sind, wie virtuos die Pussy Riots durch die Adorno-Mühle gedreht werden“. Wenn es wirklich so ist, wie Jan Fleischhauer schreibt, dann kann das nicht zu guter Qualität führen. Aber vielleicht ist Fleischhauer einfach nur traurig, weil er nicht mit den anderen Feuilletonisten auf die schönen Partys darf. Und pöbelt deswegen ein bisschen herum. So wie der ruppige Blogger Don Alphonso, der in seinem bayerischen Exil wohl denkt, dass wir hier in Berlin den ganzen Tag Drogen nehmen und Sexorgien veranstalten und deswegen nicht genug arbeiten können.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe

Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei

Freitag David Denk Fernsehen

Montag Maik Söhler Darum

Dienstag Deniz Yücel Besser

Es ist aber anders. Mich interviewten zwei Autoren des HATE-Magazins und sagten: auch sie führen den „Krieg gegen dich“ Prokrastination-Versagensängste-Teufelskreis. They feel the same. Bis hin zu Gedanken, ob man mit Mitte, Ende 30 es noch mal mit einem anderen Beruf versuchen solle.

Ach ja, lieber Leser. Ich habe Glück! Es gibt, trotz Antony Giddens und Gerhard Schröder, noch einen Sozialstaat in Deutschland. Alte Bundesrepublik Galore! Hätte ich ja nicht gedacht. Wie so viele meiner Generation bin ich so sehr durchneoliberalisiert, dass ich nicht erwartet hätte, Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben. Es kann nur noch an Pech scheitern. Alles wird gut.

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