Singen und gedenken

ANDACHT Die Mezzosopranistin Anne Sofie gab einen Abend mit Liedern und Kammermusik von Komponisten, die in Theresienstadt interniert waren

Musik ist nicht immer nur Musik. Man merkt es an sich selbst, wenn man auf dem Weg zu einem Konzert wie diesem ist. Weil es so schwierig ist, sich einfach darauf zu freuen; recht absurd, da man doch gleich eine bewunderte, weltberühmte Mezzosopranistin singen hören soll. Doch die Umstände sind besondere.

Anne Sofie von Otter, die vor zwei Jahren eine CD mit Liedern von Komponisten veröffentlicht hat, die in Theresienstadt interniert waren, ist jetzt mit einer Variante dieses Programms auf Konzertreise durch Europa. Sie ist nicht die Erste, die die ermordeten Musiker wiederentdeckt. Viktor Ullmann, Erwin Schulhoff, Pavel Haas und Hans Krása, um die prominentesten zu nennen, sind wieder geläufige Namen, Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ insbesondere feierte große Bühnenerfolge. Dennoch leistet von Otter Pionierarbeit, denn vor ihr hat noch kein Künstler von vergleichbarer Bekanntheit einen ganzen Abend mit Kammermusik „Theresienstädter“ Komponisten auf die Beine gestellt.

Im Hintergrund des Projektes steht eine Geschichte, die berührt, da sie die persönliche Involviertheit der Sängerin zeigt. Ihr Vater, Göran von Otter, war während des Zweiten Weltkriegs als schwedischer Diplomat in Deutschland. 1942 lernte er auf einer Dienstreise in einem Zug den SS-Mann Kurt Gerstein kennen, der ihm von den Massenmorden an den Juden berichtete (an denen er selbst beteiligt war) und ihn bat, seine Informationen ans Ausland weiterzuleiten. Der Schwede erstattete bei seinem Außenministerium Meldung, wo man es vorzog, lieber nichts zu tun. Nach Kriegsende versuchte von Otter, Gerstein aufzuspüren; der aber war bereits erhängt in seiner Gefängniszelle aufgefunden worden.

Als Anne Sofie von Otter an diesem Mittwochabend im Kammermusiksaal auftritt, begrüßt sie schlicht zum „Konzert der Andacht“. Der dramaturgische Rahmen des Abends ist musikalisch so einfach wie wirkungsvoll. Der Text des ersten Stücks, des volksliedhaften „Ich wandre durch Theresienstadt“ stammt von Ilse Weber, einer Kinderbuchautorin, die in Theresienstadt als Krankenschwester arbeitete und sich freiwillig mit den ihr anvertrauten Kindern nach Auschwitz deportieren ließ. Mit einem Wiegenlied Ilse Webers wird von Otter den Abend auch ausklingen lassen, und es wird eine halbe Minute lang niemand klatschen wollen, während auch die Künstler auf dem Podium sichtbar nicht gleichgültig dastehen. Die Sängerin tritt auf mit ihrem langjährigen Pianisten Bengt Forsberg, dem Geiger Daniel Hope und dem Multi-Instrumentalisten Bebe Risenfors. Die Musiker sind auch Moderatoren ihrer Performance. Sie erläutern sehr unprätentiös Werk und Schicksal der Komponisten, lesen Gedichte vor, erzählen vom musikalischen Leben in Theresienstadt.

Neben Werken der „akademischen“ Komponisten, die zum Großteil, wie etwa die wundervollen Lieder des Janáček-Schülers Pavel Haas schon vor der Internierungszeit entstanden sind, umfasst das Programm auch ein paar volkstümliche, gar heitere Stücke. Bei den Konzerten in Theresienstadt, erklärt Daniel Hope, sei es ähnlich gewesen, oft habe man auch nur einzelne Sätze gespielt. Und Bach sei geliebt und gepflegt worden. Daher geben Hope und Forsberg zwischendurch das Largo aus Bachs Sonate Nr. 4 c-Moll für Violine und Cembalo. Hope spielt es mit einer leicht befremdenden Beschwingtheit, die, so die Theresienstädter Aufführungspraxis in ihr anklingen sollte, auch als Ausdruck verzweifelten Lebenswillens gehört werden kann. Das bis dahin sehr disziplinierte Publikum aber scheint sich beim Hören vertrauter Klänge schnell zu entspannen. In einem kräftigen Huster, der Nachahmer findet, klingt das Largo aus. So ist es dann für Momente doch fast wie in einem ganz normalen Konzert. Ähnlich wie damals, möglicherweise? KATHARINA GRANZIN