das portrait
: Lucille Eichengreenwird trotz der Nazis 95

Streitbare Hamburgerin im Exil: Lucille Eichengreen Foto: Claudia Höhne

Gleich drei Stolpersteine erinnern in den Straßen ihrer Geburtsstadt Hamburg an die Familie von Lucille Eichengreen: An ihren im KZ Dachau ermordeten Vater Benjamin Landau, ihre im Getto Łodz verhungerte Mutter Sala und die in Chełmno ermordete jüngere Schwester Karin.

Die Kindheit der als Cecilie Landau am 1. Februar 1925 Geborenen war nur wenige Jahre ungetrübt. Antisemitische Anfeindungen zählten zu ihren Erfahrungen auf dem Weg zur Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße. Als 16-Jährige wurde sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Schwester nach Łodz deportiert. Sie überstand die unmenschlichen Lebensbedingungen und den alltäglichen Hunger, verlor durch ein „Verhör“ der Kriminalpolizei das Hörvermögen eines Ohres. Bei Auflösung des Gettos wurde sie nach Auschwitz verschleppt. Nach wenigen Wochen in diesem Vernichtungslager wurde sie für einen Transport nach Deutschland ausgewählt – zur Zwangsarbeit, ausgerechnet in Hamburg. In den Außenlagern des KZ Neuengamme am Dessauer Ufer und in Sasel untergebracht, zwang man sie zu schwerer körperlicher Arbeit in der Hamburger Innenstadt und im Hafen. Letzte Station ihres Leidenswegs war das KZ Bergen-Belsen, das von Leichen übersät war und in dem Hunger und Seuchen herrschten.

Nach der Befreiung emigrierte Cecilie Landau in die USA, wo sie den ebenfalls aus Hamburg stammenden Dan Eichengreen heiratete. Ihre Vergangenheit hatte sie nur geografisch hinter sich gelassen. Schreibend suchte sie die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte. Ihre Lebenserinnerungen erschienen 1992 unter dem Titel „Von Asche zum Leben“ erstmals auf Deutsch. Acht Jahre später folgte ihr Buch über den Judenältesten von Łodz. Der Umschlag ihres Buches „Haunted Memories“, über Frauen und den Holocaust, zeigt sie auf dem Wandbild am Lawaetz-Haus in Hamburg-Neumühlen. Dank ihres sehr gutes Gedächtnisses half sie der Universität Gießen bei der Erstellung der Łodzer Getto-Chronik, wofür sie die Ehrendoktorwürde erhielt.

Die Stadt Hamburg tat sich immer schwer mit dieser selbstbewussten Frau, selbst als sie 2009 die Hamburgischen Ehrengedenkmünze in Gold bekam. Als Rednerin bei der Einweihung des Gedenkortes Hannoverscher Bahnhof fragte sie im Mai 2017, warum es mehr als 70 Jahre dauerte, um an diesen – auch ihren – Ort der Deportation aus Hamburg zu erinnern. Wie sie über den überschaubaren Gedenkort im ehemaligen Stadthaus urteilen würde, wo sie ihren Vater zum letzten Mal gesehen hat, lässt sich denken.

Ihre Verfolger hatten nicht vorgesehen, dass Lucille Eichengreen heute im fernen Kalifornien ihren 95. Geburtstag feiern kann. Umso mehr gebührt ihr ein herzlicher Glückwunsch – gerade aus Hamburg. Wilfried Weinke