: Ein Plädoyer für Streicher
Konzentrierte Strenge, sehr spannend: Clara Iannotta bei Ultraschall
Von Thomas Mauch
Trotz der toten Wespen im Titel ihres Stückes dachte Clara Iannotta bei der Arbeit an „Dead wasps in the jam-jar“ gar nicht an die. Sie versuchte, sich eine Vorstellung von der Tiefsee zu machen. Von ganz unten am Grund, „wo ständiger Druck und ewige Bewegung das Stillstehen der Zeit zu formen scheinen“, wie die 1983 in Rom geborene, in Berlin lebende Komponistin sagt. Am Donnerstag war das Stück beim zweiten Abend des Ultraschall Festivals für neue Musik mit dem Jack Quartet im Heimathafen zu hören, und mit Iannottas Perspektive im Ohr wollte man dann fast schon programmmusikalisch abtauchen in die Tiefe, vorbeigleiten an den schroffen, klammen Tonflächen. Jedenfalls hätte sich diese Streichquartettkomposition mit dem prekären Kratzen und den lauernden Tönen ganz prächtig als Begleitung zu den Tauchfahrten gemacht, wie sie vor Kurzem in der Fensehserie „Das Boot“ zu sehen waren.
Eine spannende Musik also. Konzentriert und zur Konzentration schon deswegen auffordernd, weil Iaonnota mit ihren Tönen manchmal um die Hörbarkeitsschwelle herum spielt, die Klänge fast probeweise gegen die Stille lehnt und sich nie treiben lässt. Immer bleibt sie fokussiert in ihrer Musik, was das Jack Quartet in schöner Zurückgenommenheit präzise auf die Bühne brachte an dem Abend, an dem mit „You crawl over seas of granite“ auch eine Uraufführung zu hören war, bei der Iannotta wieder aus der Stille heraus eine ruhig atmende Musik schälte, die, der Ruhe misstrauend, sich selber nachhorchend schien: War das ruhige Atmen nicht doch ein delirierendes Röcheln?
In allen Kompositionen Iannottas war es zu spüren, wie ihr Interesse an Klang und feinsten Klangveränderungen immer auch eine Spannung schuf, die weit über diesen experimentellen Ansatz hinausreichte in den Stücken. Die dazu ein sehr entschiedenes Plädoyer waren für das strenge Format des Streichquartetts in der Neuen Musik, die sonst in Besetzungsfragen doch gern das Originelle sucht.
Im Anschluss an das Iannotta-Konzert wurde im Heimathafen auch das gezeigt mit dem Trio Accanto. Saxofon, Klavier, Schlagzeug. Eine im Jazz vertraute Kombination, in der zeitgenössischen Klassik noch ungewöhnlich. Wobei das Accanto-Programm über weite Strecken auch wie avancierter Jazz klang. Und bis Sonntag werden noch weitere Kombinationen bis hin zum großen Orchester bei Ultraschall durchprobiert.
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