Leben im Schatten

Der Februar-Reigen der Magical History Tour im Berliner Kino Arsenal widmet sich noch bis zur Berlinale den Niemandsländern und Halbwelten im Film

Schauplatz von Charles Vidors Film-noir-Klassiker „Gilda“ ist die in sich geschlossene Welt eines Spielcasinos in Buenos Aires Foto: Foto:Arsenal– Institut für Film und Videokunst

Von Fabian Tietke

Wer in fremden Landen weilt, braucht solide Finanzen. In seiner ersten Nacht in Buenos Aires verschafft sich Johnny Farrell eine gute Finanzgrundlage für seinen Aufenthalt, indem er einer Gruppe von US-Seeleuten ihr Geld beim Würfeln abnimmt. Für das nötige Würfelglück sorgt er mit präparierten Würfeln. Als er ein paar Ecken weiter seinen Gewinn zählt, hat er mit einem Mal eine Pistole im Rücken. Gerettet wird er von seinem Landsmann Ballin Mundson, der ihn an ein Casino verweist. Was er verschweigt: Es ist sein Casino.

Charles Vidors Film-noir-Klassiker „Gilda“ eröffnet am Samstag den Februar-Reigen der Magical History Tour im Berliner Kino Arsenal. Bis zur Berlinale widmet sich das Arsenal den Niemandsländern und Halbwelten im Film.

Beim Besuch im Casino am nächsten Abend wird Farrell prompt beim Falschspielen erwischt – was ihm die Stelle als Manager des Casinos einbringt. Wenig später holt ihn seine Vergangenheit ein. Die Frau, vor der er nach Argentinien geflohen ist, taucht als Ehefrau seines Chefs wieder auf: Gilda. Vidors Film vereint als Protagonisten die Schauspieler Glenn Ford und Rita Hayworth. Bekannt ist der Film heute vor allem für eine Szene, in der Hayworth im Casino auftritt und sich beim Singen lasziv die Handschuhe vom Arm streift.

Doch „Gilda“ ist weit mehr als ein Starvehikel für Hayworth. Der Film ist in vielfacher Hinsicht eine der Apotheosen des Film noir. Die zeitliche Nähe zur Screwball-Comedy ist in den schlagfertigen Dialogen ebenso spürbar wie die Hard-boiled-Krimis von Raymond Chandler und Konsorten, die zeitgleich entstanden. Bevor bei „Gilda“ der Schriftzug „Ende“ erscheint, schlägt der Film Volte um Volte, und umspannt dabei die Höhen und Tiefen menschlicher Dramen.

Wie so oft im klassischen Hollywoodkino ist der Film bis in die Nebenfiguren hervorragend besetzt: Steven Geray, als Istvàn Gyergyay geboren im ehemals österreichisch-ungarischen und heute ukrainischen Uschhorod, spielt in dem Film eine seiner bekanntesten Rollen. Gerald Mohr spielt einen Polizisten mit beinahe soziologischem Interesse am Spiel der Figuren. Nichts, was Streamingdienste und Fernsehsender zu bieten haben, wird auch nur annähernd mit dem Vergnügen mithalten können, „Gilda“ auf der Leinwand zu sehen.

Das Gleiche gilt für Alfred Hitchcocks Stummfilm „The Lodger“. Inmitten einer Reihe von Morden eines ominösen „Rächers“ an jungen, blonden Frauen mietet ein junger Mann ein Zimmer. Der junge Mann gibt dem älteren Ehepaar, das das Zimmer vermietet, gute Gründe, misstrauisch zu werden. Das erste, um das er bittet, ist es, die Bilder, junger, blonder Frauen aus dem Zimmer zu entfernen. Während sich die Medienpanik um die Morde steigert und das Morden weitergeht, geht der Mieter nachts aus, das Gesicht halb verhüllt von einem Schal. Vor dem Nachtclub, in dem die Tochter der Vermieter als Tänzerin auftritt, wirbt eine Leuchtreklame: „To-night Golden Curls“. Hitchcocks Film nimmt deutliche Anleihen bei der Mordserie Jack the Rippers, verlegt diese in die Gegenwart.

Der erste Thriller des Regisseurs, der vor allem für seine späteren Filme bekannt ist, ist ein Meisterwerk der Spannung. Die medial befeuerten Verdächtigungen, das geschickte Spiel mit dem Sehen und nicht Sehen, die skizzierten sozialen Verortungen der Filmhandlung machen vergessen, dass „The Lodger“ unterdessen auf die 100 Jahre zugeht.

„Morgen wurde abgesagt aus Mangel an Interesse.“ 1987 dreht der queere Experimentalfilmregisseur Derek Jarman einen epischen Abgesang auf England. „The Last of England“ ist ein Porträt eines Lands am Abgrund. Jarman reiht in dem Film Episoden der Hoffnungslosigkeit und der Ernüchterung aneinander. Bunte Amateurfilme der Kindheit treffen auf blass-farbige Aufnahmen der Gegenwart. Ein Großteil des Films ist unterlegt mit Musik. Der Programmtext zitiert Jarman: „Hinter der Fassade tanzen die Kinder des Rock ’n’ Roll zum rasanten Gelaut der Dezibels, jetzt gibt es eine Disco am Ende jeder Straße: Sie heißen Dschungel, Asyl, Gruft oder Himmel, und die Musik dort ist so laut, dass niemand hören wird, wie die Welt auseinanderfällt.“

Seit Jahren besteht die Magical History Tour des Arsenals aus eher assoziativen Reihen, das ist auch bei der Motivgeschichte der Halbwelten und Niemandsländer der Fall. Die Filme der Reihe sind jedoch allemal eine Wiederbegegnung wert.

Magical History Tour: Niemandsländer und Halbwelten im Film, 1. bis 20. Februar 2020 im Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, www.arsenal-berlin.de