die woche in berlin
: die woche in berlin

Franziska Giffey, Bundesfamilienministerin und einst Bürgermeisterin von Neukölln, will Michael Müller an der Spitze der Berliner SPD ablösen. Ihr Partner im Führungsduo soll der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh sein. Wird das der endgültige Untergang oder die grandiose Wiedergeburt der Berliner SPD?

Die
Retterin
der SPD

Franziska Giffey will SPD-Landesvorsitzende werden

War sie eigentlich wirklich weg, aus ihrem Berlin, das sie „einfach mal geil“ findet, wie sie selbst sagt? Jetzt ist sie jedenfalls wieder da: Franziska Giffey wird für das Amt der Berliner SPD-Landeschefin kandidieren. Und eigentlich hat sich im politischen Berlin darüber niemand gewundert, als die Nachricht am Dienstagmorgen bekannt wurde. Einzig vielleicht, dass sie doch ein wenig früher kam als erwartet, dreieinhalb Monate vor dem SPD-Landesparteitag Mitte Mai.

Tatsächlich hat die amtierende Bundesfamilienministerin nur einmal mehr bewiesen: Sie hat Timing, Machtpolitik kann sie. Die Regierungszeit der SPD auf Bundesebene ist endlich. Und für die Berliner SPD ist sie der Strohhalm, mit der die Partei vielleicht bei den nächsten Abgeordnetenhauswahlen doch noch an der Macht bleiben könnte (ob ihr selbst und der Stadt das guttut, sei mal dahingestellt). Bevor da doch noch eine Überraschung ihren oder seinen Hut in den Ring wirft, sorgt Giffey lieber früh für klare Verhältnisse.

Giffey hat eine einnehmende Art. Wenn sie in Neukölln als Bezirksbürgermeisterin einen Spielplatz eröffnete, nahm man ihr ab, dass sie in diesem Moment nichts lieber tat, als im Sandkastensand zu stehen und lärmenden Kindern auf der frisch sanierten Rutsche zuzugucken.

Sie sei immer voll da, ganz Ohr, bekam man von ihren KollegInnen im Be­zirks­amt zu hören, wenn man nach ihrem Amtsantritt als Neuköllner Bürgermeisterin 2015 fragte, ob sich eigentlich etwas geändert habe im Rathaus – nach dem Ende der Ära Heinz Buschkowsky, dessen Ziehtochter sie ist. Eigentlich sage sie inhaltlich gar nicht so viel anderes als ihr als Hardliner berühmt gewordener Vorgänger. Doch sie sage es anders, eine „andere Gesprächskultur“ sei ins Rathaus eingezogen, sagte ein grüner Stadtrat.

Politisch wird sie dem rechten Flügel der SPD zugeordnet. Aber was heißt das bei ihr? Sie machte als Bezirksbürgermeisterin keinen Hehl daraus, dass es ihr nicht passte, wenn ihr muslimische Männer bei offiziellen Terminen nicht die Hand geben, weil sie eine Frau ist. Giffey ist auch für ein Kopftuchverbot bei Lehrerinnen.

Im kommenden Landeswahlkampf ist sie damit anschlussfähig an ein WählerInnenmilieu rechts von den Grünen – auch ihr ganzer Habitus, das gediegene Kostüm zur Feinstrumpfhose, passt eher nach Spandau als nach Friedrichshain-Kreuzberg.

Dabei wird ihr dieses eindimensionale Rechts-links nicht gerecht. Das auch für Linke Versöhnende an Giffey ist ihr ur-sozialdemokratisches Gerechtigkeitsempfinden. Sie findet einiges an der muslimischen Kultur problematisch. Trotzdem erlaubt sie lieber Burkinis, als Mädchen vom Schwimmunterricht auszuschließen. Und das ist schon einfach mal eine ganz geile Haltung für diese Stadt, wenn man 2021 die erste Regierende Bürgermeisterin werden will. Anna Klöpper

Giffey erlaubt lieber Burkinis, als Mädchen vom Schwimm­unterricht aus­zuschließen. Und das ist schon mal eine ganz geile Haltung für diese Stadt

Anna Klöpper über Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die SPD-Landesvorsitzende werden will

Und wie nun weiter?

Müllers Abgang war ehrenwert. Aber war es überhaupt einer?

Das muss man erst einmal schaffen als Parteichef: zu erkennen, wann es Zeit ist, zu gehen, statt sich aus dem Amt tragen zu lassen. Viele lange hochgeschätzte Politikerinnen und Politiker haben diesen Moment verpasst und blieben später nur noch als Menschen in Erinnerung, die sich an ihr Amt klammern.

Michael Müller hat das besser gemacht und gesehen, dass die SPD unter seiner Führung nur wenige Chancen hat, aus dem Umfragetief herauszukommen. Das liegt nicht daran, dass er keine Ideen mehr hätte – er hat bloß immer weniger Chancen, damit zu punkten. So wie Müllers einst extrem beliebter Vorgänger Klaus Wowereit am Ende weitgehend mit der BER-Flughafen-Misere verbunden wurde, so wird Müller das Etikett nicht mehr los, die SPD in Berlin auf ihren historischen Tiefstand geführt zu haben – auch wenn der hiesige Landesverband damit voll im Bundestrend liegt und sicher auch noch andere Faktoren im Spiel sind und waren.

Hoffnung kann der SPD machen, dass Müllers am Mittwoch bekannt gewordene Verabredung mit seinen mutmaßlichen Nachfolgern Franziska Giffey und Raed Saleh über Wochen nicht nach außen durchsickerte – was sonst oft passiert, weil sich der eine oder die andere davon einen persönlichen Vorteil oder einen Nachteil für einen Lieblingsfeind verspricht.

Dabei ist ja mit dem Wechsel und einer absehbaren Spitzenkandidatur Giffeys bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 noch einiges mehr verbunden: der Kampf um aussichtsreiche Plätze auf der Kandidatenliste für die wahrscheinlich parallel stattfindende Bundestagswahl etwa. Müller selbst hat Ende vergangenen Jahres durchblicken lassen, dass das für ihn eine Option ist – aber ins Bundesparlament hinein oder dort bleiben wollen eben auch noch andere.

Und wie nun weiter? So ganz klar dürfte es noch nicht sein, dass Müller tatsächlich auch bald als Regierungschef abtritt. Denn dem klassischen Amtsbonus, mit dem Giffey dann in die Abgeordnetenhauswahl gehen könnte, steht eine große Unwägbarkeit gegenüber: Würde sich der Giffey’sche Glanz im Koalitionsgezerre nicht schnell abnutzen und die jetzige Hoffnungsträgerin entzaubert? Würde sich nicht schnell zeigen, dass auch Giffey ihre „Regeln sind einzuhalten“-Politik nicht so einfach gegen einen Bündnispartner durchsetzen kann, der in der Polizei nicht durchweg einen Freund und Helfer sieht?

Es könnte für die SPD günstiger sein, sie überließe Müller weiter den parteipolitisch rot-rot-grünen, aber in der Praxis oft grauen Regierungsalltag – und ließe so Wählerinnen und Wähler weiter die Hoffnung, mit Giffey werde nach der Wahl alles besser. Stefan Alberti

Der Mann
an
ihrer Seite

Raed Saleh soll erster arabisch-stämmiger SPD-Chef werden

Der wievielte Versuch Raed Salehs, in der Berliner SPD zur Führungsfigur zu werden, ist dies nun? Das ist nicht ganz einfach zu sagen – was genau das Problem Salehs umschreibt.

Zusammen mit Franziska Giffey soll der 42-Jährige ab Mai die angeschlagene Berliner SPD aus dem Meinungstief holen. Am Mittwoch haben Giffey, er und der Noch-Parteichef Michael Müller das verkündet, der Deal ist Teil der Ablösung Müllers auch als Regierender Bürgermeister. So weit der Plan. Mal sehen, ob die Basis auf dem Parteitag am 16. Mai mitspielt.

Saleh hatte schon einmal mit Müller um einen Spitzenposten gerungen. 2014, nach dem Rücktritt von Klaus Wowereit als Regierendem Bürgermeister, waren die beiden und Jan Stöß die Kandidaten für eine parteiinterne Urwahl des Nachfolgers. Saleh verlor so deutlich, wie Müller gewann; er landete noch hinter dem mittlerweile längst vergessenen Stöß auf dem dritten Platz. Müller war damals Stadtentwicklungssenator, Saleh Frak­tionschef im Abgeordnetenhaus.

Das blieb er auch und gefiel sich fortan in seinem stets uneindeutigen Verhältnissen zum Sieger der Urwahl. Immer wieder lancierte er Forderungen in der Presse, warf Müller mehr oder weniger direkt taktisches Versagen vor, und wenn man ihn fragte, lächelte er dazu viel- und doch nichtssagend. Einmal nährte er dadurch lange Spekulationen, er werde als Gegenkandidat bei der geplanten Wiederwahl Müllers als Parteichef antreten. Saleh gab den Machtpolitiker, den Strippenzieher, ziemlich öffentlich. Und tauchte stets ab, wenn es mal richtig brenzlig wurde.

Damit hat er sich auch viele Gegner geschaffen. Ende 2017 wurde ein Brief publik, in dem knapp die Hälfte der Fraktion von ihm mehr Präsenz und Einsatz für sie forderte. Fortan rissen die Spekulationen nicht ab, Saleh habe den Zenit seiner Karriere in der Berliner SPD überschritten; seine Sticheleien nervten viele nur noch.

In der Personalrochade Müller/Giffey/Saleh ist Letzterer deswegen der Posten, der am meisten überrascht. Und prompt wird darüber spekuliert, ob der Fraktionschef überhaupt genug Unterstützung auf dem Parteitag erhalten wird. Den Berliner Sozialdemokraten ist in Sachen Selbstzerstörung bekanntlich vieles zuzutrauen. Dass sie Giffey demontieren, gilt aber doch als unwahrscheinlich. Bricht sich der aufgestaute Zorn über den nicht gerade demokratischen Deal dann bei der Abstimmung über Saleh Bahn?

Jenseits aller Machtspielchen wäre Salehs Kür allerdings ein ur-sozialdemokratisches Zeichen für erfolgreiche Integration: Mit ihm würde erstmals ein arabischstämmiger Mensch einen Landesverband der SPD führen. Und Integration wäre sicherlich auch eine Kernkompetenz des Duos Saleh/Giffey. Beide sind in dieser Hinsicht Schüler von Heinz Buschkowsky, dem populistischen Ex-Bürgermeister von Neukölln. Sein Ansatz des Förderns und Forderns ist auch ihrer: Der Staat muss Angebote machen; aber die Menschen müssen diese auch wertschätzen. Anders als Buschkowsky und auch als Giffey betont Saleh gerne das Label „links“. Und tatsächlich war er es, der viele finanzielle Erleichterungen vor allem in der Bildungspolitik durchgesetzt hat.

Saleh dürfte auch die Aufgabe zukommen, Giffey – die bisher wenig in Berlin präsent war – in den Landesverband zu integrieren. Mal sehen, ob das klappt. Bert Schulz