: Ein Futterhaus auf Stelzen
Was haben ein Kleingarten, ein Waschbär und alte Schneidebretter gemeinsam? Sie fördern die Kreativität
Text und Fotos Waltraud Schwab
In unserem Schrank stapeln sich Schneidebretter. Zehn Stück mindestens, noch nicht mal die Hälfte brauchen wir. Sie liegen da seit Jahren, eins über dem anderen, angeschafft, zusammengerafft, geschenkt bekommen. Dieses rötliche aus Plastik, das war ein Präsent, ich weiß noch, von wem. Liebe war es nicht.
Zurück bleibe ich mit diesem Plastikdreck, einem vergällten Andenken. Ich traue mich nicht, es in den Müll zu werfen, weil nicht klar ist, ob es eines Tages auf der anderen Seite der Welt im Meer ankommt. Es ist übrigens nicht verboten, so etwas Nutzloses zu produzieren.
Da trifft es sich gut, dass wir diese Rubrik befüllen: schöner Müll. Denn auch die anderen überflüssigen Schneidebretter aus Holz kann ich nicht einfach aussortieren oder in den Flur des Mietshauses stellen, auf dass sich Dritte damit beschweren. Ich bin so, ich kann nur schwer wegwerfen. Aber verwandeln in was Neues kann ich schon. Also: Was könnten Schneidebretter noch sein?
Dieser Moment, in dem die Fantasie gefordert ist, aber noch nichts entstanden ist in der Vorstellung, ist wie ein Blick ins Nichts. Wenn sich dann aber etwas in Gedanken geformt hat, wenn es hin und her gedreht wird, ob es gehen könnte, wie es gehen könnte, dann fängt die Magie an. Heraus kommt in diesem Fall ein futuristisches Vogelfutterhaus auf Stelzen. Hinterher kann ich nicht mehr erklären, warum das eine Problem – die überzähligen Schneidebretter – sich mit einem anderen Problem – den Waschbären in unserem Garten – verband.
In unserem Schrebergarten ist es nämlich zwecklos, Vögel zu füttern. Bevor diese auch nur ansatzweise den Braten riechen, haben die Waschbären ihn schon gefressen. Dabei gehen die Waschbären nicht zimperlich vor: Sie klettern die Bäume und Dächer hoch und reißen die hängenden Vogelfutterhäuser runter. Und die, die auf einem Pfahl stehen, werfen sie um. Den Vögeln lassen sie nicht mal Krümel.
Als die Waschbären noch nicht die Berliner Gärten fluteten, kamen viele Vögel an die Futterstellen. Da waren Kohlmeisen, Blaumeisen, Haubenmeisen, Tannenmeisen und Schwanzmeisen, da waren Grünfink und Dompfaff, Rotkehlchen und Kleiber, Spechte, Amseln und Vögel, die ich gar nicht mit Namen kenne. Jetzt sehe ich nur noch hin und wieder Spatzen, in benachbarten Gärten. Ich kann ja nicht mehr füttern.
Notwendig, dachte ich, ist ein Futterhaus, das die Waschbären nicht erreichen und auch nicht umwerfen können. Es muss wie in der Luft schweben. Und so war plötzlich diese Idee da, die ungeliebten Schneidebretter an vier langen, dünnen Stangen zu befestigen, so dünn, dass die Tiere, die so putzig aussehen mit ihrem maskierten Gesicht, geborene Diebe eben, nicht hinaufkommen.
Vier Stäbe tief in die Erde gesteckt, ein Holzbrett als Futterteller für die Vögel zum Picken, das wasserfeste Plastikbrett als Dach darüber. So dachte ich mir, sollte es gehen. Und so ging es auch, wenngleich es tüftelig war. Ich wollte nämlich keine Winkelfunktion bemühen, um zu berechnen, wo genau die Löcher sein müssen, damit der Abstand so ist, dass das untere Brett geschützt ist, die Vögel es aber noch anfliegen können.
Ich bin eine Verfechterin der Hudelei. Natürlich klappt es nie sofort. Aber ich will auf gar keinen Fall einen Plan machen. „Ja, mach nur einen Plan / sei nur ein großes Licht / und mach dann noch ’nen zweiten Plan / gehn tun sie beide nicht.“ Danke, Bertolt Brecht, danke, „Dreigroschenoper“.
Pfuschend habe ich es hinbekommen. Das Futterhaus sieht aus wie futuristische 1960er-Jahre-Architektur. Weil es am Ende aber schwierig war, es aufzustellen, habe ich es nicht gewagt, mal so richtig einen Fußtritt dagegenzuhauen, um zu testen, ob es stehen bleibt, wenn mit Waschbärengewalt zu Werke gegangen wird. Noch jedenfalls steht es.
Schöner Müll Wie man alten Sachen eine neue Aufgabe gibt, beschreiben wir regelmäßig an dieser Stelle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen