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: Mütter und Töchter auf Reisen: Gesine Schulz’ „Eine Tüte grüner Wind“, Holly-Jane Rahlens „Wie man richtig küsst“

Wenn Eltern mit ihren Kindern verreisen, dann muss es schon Amerika sein. Schwarzwald, Ostsee? Dann doch lieber Kalifornien oder New York. Man will seinen Kindern schließlich etwas bieten. Wobei die typische Jugendbuchfamilie bei Reiseantritt in der Regel aus einem Elternteil plus ein Kind besteht. Die Väter sind mit neuen Frauen verschwunden oder tot. Die Mütter sind zwar anwesend, aber hektisch, launisch und in eigenen Liebesangelegenheiten schnell überfordert. Zu guter Letzt ist Mami dann allerdings reuig und irgendwie doch wieder ganz lieb.

Nach diesem Muster ist zum Beispiel das Irlandbuch von Gesine Schulz gestrickt. Eigentlich sollte es auf ein Weingut bei San Francisco gehen – „Ein großes, altes weißes Haus mit Säulen und Terrassen. Und für Lucy ein Zimmer mit ihrem eigenen Balkon.“ Ja, da wäre man auch gerne mal zum Ausspannen. Doch die Reise platzt, weil die Mutter lieber ihrem neuen Lover folgt, und da ist Lucy irgendwie über. Wie ein überflüssiges Möbel wird sie bei ihrer Tante abgestellt. Die lebt in Irland in einem alten Cottage den ewigen Traum der Zivilisationsmüden. Erstaunlich, dass Lucy auf dieses romantische Aussteigerideal abfährt. Sie liebt die irischen Wolken und einsamen Strände, interessiert sich für die Strickmuster derber irischer Wollpullover und will wissen, wie man Käse macht. Das ganze Konsumgedöns hingegen findet sie langweilig. So eine Tochter wünscht sich wohl manche Mutter – doch gibt es solche Mädchen tatsächlich?

Diese Lucy ist eine Geburt erwachsener Wünsche nach dem einfachen Leben. Zwar opponiert sie gegen ihre Mutter, welche die Schönheitsfarm dem wilden irischen Wetter vorzieht. Aber diese Opposition ist so bieder, dass man sich fast schon wünscht, Lucy würde sich mal bei McDonald’s überfressen und danach eine Nacht lang nur DVDs gucken.

Ein ganz ähnliches Setting hat der neue Roman von Holly-Jane Rahlens, auch wenn er qualitätsmäßig in einer höheren Liga spielt. Bei ihr ist es eine Reise nach New York, die platzt. Wohin mit Renee in den Sommerferien? Verflixt, immer ist in deutschen Jugendbüchern alles schon ausgebucht. Also muss Renee mit ihrer Mutter auf Lesereise gehen. Dr. Mom, wie sie auch genannt wird, schreibt Erziehungsratgeber und eine Kolumne, in der sie ihre Erlebnisse mit der pubertierenden Tochter verwurstet. Renee is not amused. Und so ätzt sie tüchtig rum, allerdings gerade nur so viel, dass es nicht wirklich kracht. Denn auch bei Rahlens ist es mit der Opposition so eine Sache. Was erst frech daherkommt, endet schnell versöhnlich. Mütter haben Macken, aber eigentlich finden die Töchter sie ganz toll. Ist das wirklich so? Die Shell-Jugendstudie jedenfalls bestätigt diesen Eindruck.

„Wie man richtig küsst“ handelt allerdings nicht nur von Müttern und Ferien, sondern, wie der Titel sagt, von der Liebe. Davon, wer der Richtige ist, wie das erste Mal wohl sein wird und wie man Zungenküsse austauscht. Da ist zum Beispiel Philipp „mit zwei p“, der sieht gut aus, geht aber in die Sprachferien nach Barcelona. Doch Renee ist kein Kind von Traurigkeit. Und es gibt ja auch noch Marek, einen unbeholfen wirkenden Schlaks und Klaviervirtuosen. Eigentlich nicht Renees Typ, aber Marek ist kultiviert, und das hat seinen eigenen Reiz.

Rahlens ist etwas Seltenes gelungen. Was ihre Fünfzehnjährige in Liebesdingen erlebt und wie sie darüber denkt, wirkt echt – soweit man das als Erwachsene überhaupt beurteilen kann. Unterhaltsam geschrieben ist der Roman auch, ohne die übliche verbale Ranschmeiße. Ein Ferienbuch, das davon erzählt, was wirklich zählt zwischen Castrop-Rauxel und Berlin-Ostbahnhof. ANGELIKA OHLAND

Gesine Schulz: „Eine Tüte grüner Wind“. Carlsen Verlag, Hamburg, 171 Seiten, 6,90 Euro Holly-Jane Rahlens: „Wie man richtig küsst“. Übersetzt von Sabine Ludwig. Beltz & Gelberg, Weinheim, 300 Seiten, 12,90 Euro