berliner szenen Liebesbedürftiges Berlin

Soziale Skulpturen

Im Prinzenbad liegen zwei Mädchen auf einer großen, grünkarierten Decke mit Fransen und cremen sich gegenseitig den Rücken mit Sonnenschutz ein. Zwei, die sich gefunden haben, nicht so offensiv hübsch, nicht so schlank, ohne Handy! Sie genießen die Liebkosungen. Ziemlich weit entfernt hockt ein kleiner Junge bibbernd und nass auf seinem verkrumpelten Handtuch und sieht ihnen gebannt zu. Irgendwann bemerkt ihn eins der Mädchen und schaut gleichmütig zurück. Der Junge schüttelt wild den Kopf und rennt weg.

Überall in der Stadt verteilt sitzen zottelige, dick eingepackte Männer, stieren vor sich hin, trinken Bier oder auch nicht. Früher wären sie vielleicht Hirten gewesen, die Tag und Nacht draußen sind und wochenlang keinen anderen Menschen sehen. Jetzt wirken sie wie von einem Spezialisten für soziale Skulpturen an gut sichtbaren Posten platziert. Ihre Aura der Unberührbarkeit und ihre Einsamkeit sind herausfordernd. Eigentlich müsste man zu einem von ihnen hingehen und ihm über den Kopf streichen, selbst wenn man dafür Schläge einstecken würde. Aber die Wette gilt, dass dies niemand tun wird.

Nachts am Kottbusser Tor hat sich eine schöne junge zugeknallte Frau vor ihrem Freund aufgebaut. „Aber ich bin es doch, ich, ich!!“, wiederholt sie unablässig. Sie sieht feierlich aus bei diesen Worten, hat Tränen in den Augen und zeigt zur Verstärkung ihrer beschwörenden Formel immer wieder auf sich. Ihr Freund bleibt stumm und betrachtet sie, als sei er im Kino. Dann macht er einen halben Schritt auf sie zu. Da erhebt sie ihre Stimme ein wenig und hält mit großer Geste die Arme vor sich. Das ist ihr Auftritt, da gibt es keinen Trost, da lässt sie sich nicht beschwichtigen, „aber ich bin es doch, ich, ich!!“ KATRIN SCHINGS