Wie fair ist Fairtrade?

Fairtrade-Produkte sind schon ein Fortschritt, aber allein durch das Kaufverhalten lässt sich die Ungleichheit im Welthandel nicht beseitigen. Es bleibt eine Kluft zwischen ehemaligen Kolonisatoren und den von ihnen Kolonisierten 43–45

Herzchen, Glück und Zufriedenheit: Mit fair Gehandeltem kaufen wir uns auch immer ein bisschen frei Foto: imago stock&people

Von Benno Schirrmeister

In der Berichterstattung über Fairtrade gibt es eine merkwürdige Asymmetrie: Wenn wieder eine Studie rausfindet, dass es nicht immer klappt, mit Fairtrade, springt die Häme an: Hat man hat es nicht schon immer gewusst?! Zum Beispiel, als 2018 die Uni Münster Zweifel an der Wirksamkeit von Fairtrade anmeldete, wurden daraus in der Qualitätspresse prompt die Zertifizierungen „ein Unglück“ und zwar für „viele Kaffeebauern“. Auch als 2014 die Uni London das Problem mit den Kaffeearbeitern in Uganda aufgedeckt hatte, die von Fairtrade nicht profitierten, setzte es Schlagzeilen: „das Fairness-Märchen“ etc. pp.

Dass die Internationale Fairtrade-Organisation darauf mit einem umfassenden Programm in Kooperation mit den Gewerkschaften der jeweiligen Länder reagiert hat, ist dann nicht mehr so breit berichtet worden. Auch auf die neueren Erkenntnisse von der Uni Göttingen, reagieren die Siegel-Bewahrer fast unangenehm erwachsen: „Wir haben Kontakt mit den AutorInnen aufgenommen“, heißt es von der Transfair-Zentrale, „um in dieser Thematik weiter im Austausch zu bleiben.“ Die nehmen Kritik echt ernst. Das passt nicht in eine polarisierende Erzählweise.

Wenn jemand an seinen moralischen Ansprüchen scheitert, entlastet das halt so schön. Und es ist für den Einzelnen ja auch billiger, Kaffee, Kakao und Dessertbananen ohne Label zu kaufen. Die Produkte braucht kein Mensch, man könnte locker drauf verzichten. Aber „während uns eine Reduzierung des Konsums keine Schwierigkeiten machen sollte“, sagt Ingo Herbst, Contigo-Geschäftsführer, „würden den Kleinproduzenten in Übersee ganze Märkte und damit die Lebensgrundlagen entzogen.“ Contigo mit Sitz in Göttingen ist eine der bekannten Marken im deutschen Fairtrade-Segment. Herbst hat die Eine-Welt-Laden-Kette 1992 gegründet. Aber die hat sich aus gutem Grund auf den Non-Food-Bereich spezialisiert, Handwerk und Kunsthandwerk, wo es leichter fällt, „eine“, so das erklärte Ziel, „Partnerschaft mit den Produzenten auf Augenhöhe“ durchzuhalten – und für Transparenz zu sorgen: Kleine Betriebe, kleine Stückzahlen, da behält man besser den Überblick.

Im globalen Maßstab sind wir die Superreichen

Wo es um Früchte und Gemüse geht, ist die Situation komplexer, auch kritischer: Unser Superfood und unsere Leckereien entziehen in den Anbaugebieten Wasser und fruchtbare Böden der Grundversorgung. Solche Spezialitäten einzuführen, war bis Ende des 19. Jahrhunderts nur in minimalen Mengen möglich, im Dienst von höfischem Prunk und als Privileg der Superreichen. Jetzt sind Avocados, Kiwis und vor allem Bananen uns das Alltäglichste. Vielleicht, weil wir im globalen Maßstab die Superreichen und selbst auf Hartz IV noch die Minikönige sind.

Die erhebliche Logistik, die Kühlschiffe, die Reifereien, die Fruchthöfe wie in Bremen und Hamburg erfordern Massenproduktion und Massenvermarktung, sonst rechnet es sich nicht: Ohne primäre Akkumulation, also ohne die großen scheinlegalen Landräubereien des Kolonialismus, ohne Zwangs- und Kinderarbeit hätte es nie Bananen in Deutschland gegeben. Jetzt, 120 Jahre später, sind sie nicht mehr wegzudenken. Die Akteure sind, wenigstens die juristischen Personen, oft die gleichen. Und die Vertriebswege haben sich verstetigt, auch wenn Zwangsarbeit nicht mehr so heißt und die Kinderarbeit verborgen wird.

Wirklich gerecht könnte das System wohl nur werden, wenn man die Strukturen beseitigt, die derzeit auch Fairtrade nutzt. Denn, so kritisiert Sozial-Ökonom Ndongo S. Sylla im Dienst der Rosa-Luxemburg-Stiftung, „die Ärmsten werden nicht erreicht, weil dieses Systems ganz auf den Export ausgerichtet ist“. Wer als Kleinstbauer seine Hirse zum Überleben produziert, kann nicht für Europa Rosen züchten. Dieses Problem könnte nur ein Systemwechsel angehen. Dafür steht Fairtrade nicht: Die zehn Prinzipien des fairen Handels sind nicht revolutionär, sondern formulieren einen zivilisatorischen Minimalkonsens, wie er auch im kapitalistischem Rahmen möglich sein sollte: Menschenwürdige Arbeitsbedingungen soll es geben. Gerechte Entlohnung. Gesundheitsschutz. Ausbildung für die Beschäftigten. Dass sich dadurch der Ladenpreis oft rund verdoppelt, erinnert daran, was sonst so die Norm ist. Schon allein dafür ist Fairtrade wichtig.

Das Thema nächste Woche: Von den Schwierigkeiten, Biobauer zu werden