„Auch Polen tragen zur Verschlechterung bei“

Die Konservativen in Deutschland und in Polen benutzen die Diskussion um das Vertriebenenzentrum, um Wählerstimmen zu sammeln. Dabei könnten die guten deutsch-polnischen Beziehungen ernsthaft Schaden nehmen

taz: Frau Stekel, morgen treffen sich die Vertriebenenverbände zum Tag der Heimat. Sie und die CDU fordern ein Vertriebenenzentrum in Berlin. In Polen machen Parteien mit deutschlandfeindlichen Parolen Wahlkampf. Gefährdet Angela Merkel die deutsch-polnischen Beziehungen?

Sabine Stekel: Natürlich trägt die CDU damit einen Teil zur sichtbaren Verschlechterung der Beziehungen bei, aber viele Polen tun das ebenso. Im September sind dort Parlamentswahlen, im Oktober Präsidentschaftswahlen. Der aussichtsreichsten Partei „Recht und Gerechtigkeit“ mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Lech Kaczyński kommt dieses Thema gerade recht, um damit Stimmen zu fangen. Nicht nur in Deutschland wird das Zentrum im Wahlkampf benutzt, sondern auch in Polen.

Aber es ist doch klar, wer mit der Diskussion angefangen hat.

Ja, das mag sein, aber ohne Hilfe aus Polen hätte diese Diskussion gar nicht diese Dimension annehmen können. Die Position von Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach hatte in Deutschland praktisch keine Bedeutung, bevor die heftigen Reaktionen aus Polen kamen. Dort hatten nämlich Konservative durchaus ein Interesse an einem derart polarisierenden Thema. Die Konservativen in Deutschland und Polen haben die Diskussion gegenseitig hochgeschaukelt. Dabei waren die deutsch-polnischen Beziehungen Ende der 90er-Jahre so gut wie nie zuvor. Das in Frage zu stellen ist ein zu hoher Preis dafür, dass Erika Steinbach die Existenzberechtigung ihres Verbandes beweisen will und konservative Parteien in beiden Ländern Wählerstimmen sammeln.

Was befürchten Sie konkret?

Die guten deutsch-polnischen Beziehungen könnten ernsthaft Schaden nehmen, wertvollen deutsch-polnischen Projekten könnte die finanzielle Unterstützung teilweise gestrichen werden, die guten diplomatischen Kontakte könnten gestört werden und beide Länder könnten sich schwerer tun, in der EU zusammenzuarbeiten.

Welche Ängste können die konservativen Politiker in Polen für sich nutzen? Was verbinden Menschen dort mit einem Zentrum für Vertreibungen in Berlin?

Berlin ist für viele Polen noch immer die Stadt, von der aus Hitler den Krieg gegen ihr Land befahl. Ein Zentrum dort würde in ihren Augen beweisen, dass die Deutschen sich von den Gedanken des Nazi-Regimes noch immer nicht genug distanziert haben. Außerdem haben sowohl die Vertriebenenverbände als auch die konservativen Parteien die Diskussionen um das Zentrum mit denen um die Entschädigungsforderungen von Deutschen in Polen unselig vermischt. Das Zentrum steht damit in Polen oft auch für das unverschämte Ansinnen von Deutschen, aus einem Land, für dessen vollständige Zerstörung sie verantwortlich sind, jetzt auch noch Geld herauszupressen.

Erkennen die Menschen in Polen das Leid der deutschen Vertriebenen nicht an?

Doch, viele tun das. Dass die Deutschen ein Recht haben, ihre Geschichte, auch die Vertreibung, zu verarbeiten, steht auch in den Kommentaren der meisten großen Zeitungen. Schließlich haben die Polen selbst genügend Erfahrungen mit Vertreibung gemacht, Stalin hat die Ostgebiete Polens besetzt. Aber die Polen möchten eben nicht zu alleinigen Sündenböcken für die Vertreibungen gemacht werden. Sie möchten, dass die Rolle, die Deutschland, aber auch Russland dabei gespielt haben, nicht unterschlagen wird. Dass Deutschland in der Vergangenheit so unkritisch mit Russland umgegangen ist, hat viele Polen da nicht weniger misstrauisch gemacht.

Dieser Vorwurf trifft vor allem Rot-Grün. Sind auch dort Fehler im Umgang mit Polen gemacht worden?

Polen wurde von der rot-grünen Koalition sehr unterstützt, besonders was den EU-Beitritt betrifft. Auch viele deutsch-polnische Vorhaben konnten realisiert werden. Leider wurde das Land in der letzten Zeit von Deutschland einige Male mit Rücksicht auf Russland ignoriert, sei es bei den Gesprächen über die Ukraine oder über Pipelines aus dem russischen Raum in die EU. Frankreich und Russland waren manchmal Deutschlands bevorzugte Partner. Das ist in Polen sehr aufmerksam registriert worden, deshalb hält man sich dort auch so eng an die USA.

Der ehemalige polnische Außenminister Bronisław Geremek hat den Vorschlag gemacht, ein Zentrum in Breslau zu errichten. Halten Sie das für eine Lösung?

Nein, ich halte die Stiftung „Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität“ mit Sitz in Warschau, wie sie die deutsche Regierung derzeit favorisiert, für die beste Lösung.

Breslau war doch Schauplatz von Vertreibungen, liegt aber in Polen – das wäre ein guter Kompromiss.

Wir brauchen kein neues Gebäude und auch kein neues Zentrum mehr. Es gibt in Europa genug Stätten, in denen der Vertriebenen gedacht wird. Wer etwas anderes behauptet, sagt nicht die Wahrheit. In Deutschland gibt es zum Beispiel das Ostpreußische Museum und das Schlesische Museum mit hervorragenden Ausstellungen zu diesem Thema. In Polen, Exjugoslawien und anderswo in Europa existieren andere Einrichtungen. Diese Orte müssen nur besser miteinander vernetzt werden. Und in diesem Netzwerk sollten Historiker und andere Wissenschaftler arbeiten. Der Einfluss der Politik hat dem Thema nicht gut getan.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ