Erhöhter Alarm nach Blutbad in Schfar’am

Nach dem Massaker, das ein 19-Jähriger unter arabischen Israelis anrichtete, befürchten viele in Israel weitere Gewalt

JERUSALEM taz ■ Mit einem Generalstreik und einer Protestkundgebung in Nazareth hat die arabische Bevölkerung im nördlichen Israel auf den Mord an vier Landsleuten reagiert. Die israelische Polizei stockte das Aufgebot in der arabischen Stadt Schfar’am auf 2.000 Sicherheitsleute auf, als die vier Opfer des Attentats vom Vorabend gestern beerdigt wurden.

Der 19-jährige Täter Eden Natan-Zada hatte in Uniform bekleidet einen Bus bestiegen und kurz darauf das Feuer auf den Fahrer und die Passagiere eröffnet. Der Kugelhagel tötete vier Menschen sofort und verletzte zwölf weitere, bevor der Angreifer, als er das Magazin seines Gewehrs tauschen wollte, von der Menge überwältigt und zu Tode geprügelt wurde.

Israels Premierminister Ariel Scharon hielt mit seinem Zorn über den Extremisten nicht zurück: „Dies ist die sträfliche Tat eines blutrünstigen jüdischen Terroristen, der unschuldige israelische Staatsbürger angriff“, mit dem Ziel, das friedliche Zusammenleben von Juden und Arabern in Israel zu verletzen.

Natan-Zada war bei den Sicherheitskräften kein unbeschriebenes Blatt. Schon in den ersten Wochen der militärischen Grundausbildung hatte er die Armee verlassen, nachdem er zusammen mit seinen Kameraden den Auftrag bekam, zur Vorbereitung auf den in gut einer Woche beginnenden Abzug aus dem Gaza-Streifen eine Zeltstadt für die Soldaten zu errichten. Er war erst als Erwachsener religiös geworden und hatte sich einer radikalen Gruppe in der Siedlung Tapuach, im nördlichen Westjordanland angeschlossen. Die Eltern Natan-Zadas wollen die Armee wiederholt vor ihrem Sohn gewarnt und aufgefordert haben, ihm sein Gewehr wegzunehmen. Augenzeugen zufolge hatte der Attentäter kurz vor seinem Tod erklärt, mit dem Massaker den israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen aufhalten zu wollen. Der Vorsitzende des Siedlerverbands Jescha, Benzi Liebermann, beeilte sich mit seiner Verurteilung des Gewaltakts. „Mord ist Mord, ist Mord, und es kann keine andere Antwort darauf geben, als die komplette Ablehnung.“

Das erste und bislang einzige von einem jüdischen Extremisten zu verantwortende Massaker fand in einer vergleichbaren Situation statt. Israel und die Palästinenser standen unmittelbar vor der Übergabe Jerichos und des Gaza-Streifens an die damalige PLO-Führung, als der ultrareligiöse Baruch Goldstein 29 in einer Moschee in Hebron betende Muslime tötete.

„Ich fürchte, dass zumindest ein Teil der jüdischen Öffentlichkeit den Täter als weiteren ‚Helden‘ betrachten wird, ähnlich wie den ‚Helden Baruch‘ “, kommentierte der in Schfar’am wohnhafte arabische Knesset-Abgeordnete Mohammed Barake, der die israelische Regierung indirekt für das Unglück verantwortlich machte. Nach Ansicht des „Mossawa-Zentrums für arabische Staatsbürger“ wurden „innerhalb der vergangenen fünf Jahre 30 israelische Araber von Sicherheitskräften getötet. Abir Kopti, Sprecherin des Zentrums, berichtet, dass „bislang kein einziger Fall strafrechtliche Verfolgung nach sich zog“.

Einer in der Jerusalem Post veröffentlichten Umfrage zufolge sind zwei Prozent der Siedler bereit, im Widerstand gegen die Räumung Sachschaden anzurichten, während ein Prozent Gewalt gegen Politiker oder Sicherheitskräfte als gerechtfertigt betrachtet. Bei insgesamt mehr als 230.000 Siedlern ergibt das eine bedrohlich hohe Zahl.

„Das Massaker in Schfar’am kann das Vorspiel zu weiteren Gewaltakten sein“, schreibt der Journalist Ben Caspit. Er rechnet mit einer weiteren Zuspitzung zum 14. August, dem jüdischen Datum „Tu be Shwat“. An diesem Tag gedenken fromme Juden der Tempelzerstörung und pilgern zur Klagemauer in der Jerusalemer Altstadt. Einen Tag bevor die jüdischen Siedler im Gaza-Streifen den Räumungsbefehl erhalten, werden „tausende Muslime Al-Aksa und den Tempelberg beschützen“, prophezeit der israelische Analyst. SUSANNE KNAUL