Sauber, satt, sediert

PFLEGE Freie Wohlfahrtsverbände demonstrieren gegen rigides Zeitmanagement und andere „Notstände“ inbesondere in der ambulanten Pflege

Sieben Minuten, das muss reichen: Um den Blutzuckerspiegel beim Patienten zu messen, die Insulinspritze aufzuziehen, zu setzen, noch ein neues Rezept zu bestellen und alles ordentlich zu dokumentieren. Mehr Zeit ist – zumindest in der ambulanten Pflege – nicht vorgesehen.

„Der Zeitdruck ist extrem hoch“, sagt Uwe Makswitis, Pflegedienstleiter im Bremer Johanniterhaus des evangelischen Johanniterordens. Zugleich müsse alles „bis ins Kleinste dokumentiert“ werden. Dabei sei die Situation in der stationären Pflege sogar noch „relativ gut“. 20 Minuten sind da für die morgendliche Grundpflege reserviert. Im ambulanten Bereich müssen fünf Minuten für die Anfahrt des Pflegepersonals reichen, egal woher es gerade kommt und wie die Verkehrslage ist, zwei Minuten, um einen ganzen Oberkörper zu waschen, fünf um zwei Kompressionsstrümpfe anzulegen. Mehr Zeit zahlt die Kasse nicht.

Dagegen protestierte gestern das Diakonische Werk Bremen e.V. auf dem Hanseatenhof, im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Weil wir es wert sind“. Sie fordert eine „würdevolle Pflege“ unabhängig von individuellen Einkommen, sowie bessere Rahmenbedingungen und eine leistungsgerechtere Vergütung der MitarbeiterInnen in der Pflege. Mehr als 16.000 Unterschriften wurden dafür bundesweit schon gesammelt. In Deutschland sind derzeit etwa 2,2 Millionen Menschen auf Pflege oder Betreuung angewiesen. Im Lande Bremen gibt es insgesamt allein 193 Heime für Alte, Pflegebedürftige, Behinderte sowie Psychisch und Sucht-Kranke. 97 davon – mit insgesamt 7.634 Plätzen – sind für ältere Menschen vorgesehen, die ganz überwiegend einen ausgeprägten Pflegebedarf haben.

„Menschlichkeit müsste auch von der Gesellschaft finanziert werden“, sagt Timo Schikora, der seit drei Jahren als ambulanter Krankenpfleger bei den Johannitern arbeitet. Doch schon zum Reden fehle oft die Zeit. „Ein großer Fehler“, sagt Schikora, denn manche Erkrankungen, auch Schlaganfälle, ließen sich seiner Meinung nach mit mehr Zeit für die Pflege auch früher erkennen.

„In die Pflege muss mehr investiert werden“, sagt auch Pastor Michael Schmidt vom Diakonischen Werk, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Zwar seien die Pflegesätze zu Jahresbeginn nach langer Zeit um maximal 2,5 Prozent angehoben worden – Schmidt spricht dennoch von „Notständen in der Pflege“. Die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen verfolgt er „mit Sorge“, befürchtet, dass Sozialleistungen auch in der Pflege weiter zurückgefahren werden. „Alte werden nur noch als Kostenfaktor betrachtet.“ Und Altenpfleger, sagt Makswitis, oft als „Alte-Leute-Quäler“. Jan Zier