Zwischen Kunst und Kommerz

FLIESENMALEREI Vor 32 Jahren hat der Maler Konrad Schittek eine Marktlücke entdeckt: Er verkauft Fliesen, die nicht mehr im Handel sind. Am liebsten aber legt er selbst Hand an

Es fällt ihm noch immer schwer, sich als Manager statt als Maler zu sehen

VON CARINA BRAUN

Wenn Konrad Schittek Tatort schaut, fallen ihm seltsame Dinge auf. Nicht die Leiche in der Küche fesselt seine Aufmerksamkeit – sondern die bloße Wand dahinter. „Oh schaut, eine Manuela“, sagt Schittek dann etwa, und seine Söhne nicken bestätigend. Manuela ist quadratisch, glänzend, grau. Der eher klassische Typ unter den Fliesen.

Andere heißen „Anja“ oder „Frühling“, sie sind einfarbig oder bunt, klein oder groß, sie tragen Motive oder Muster, und manche bemalt Konrad Schittek noch immer selbst. Seit 32 Jahren gibt es seinen Fliesenhandel. Das Geschäft wurde immer größer, mittlerweile ist es zu einem Unternehmen mit 15 Mitarbeitern angewachsen, seine Söhne haben BWL studiert und sind mit eingestiegen. Aber am schönsten ist es für ihn noch heute, wenn er den Pinsel selbst in die Hand nehmen kann.

Angefangen hat er als Maler ganz traditionell: mit Ölfarben, Aquarellen und großen Leinwänden. Eine Kunst, die er mit Leidenschaft betrieb, die aber oft auch brotlos blieb. Erfolg hatte er erst, als er sie auf die Fliesen übertrug. Und inzwischen ist der Erfolg so groß geworden, dass er die Kunst fast verdrängt.

Schittek kümmert sich nun vor allem ums Geschäft. Jeden Morgen kommen kistenweise Briefe an, und in den Briefen sind Scherben. Die Scherben stammen von Fliesen, die in die Brüche gingen, und die Briefe von ihren Besitzern. Viele Leute hängen an ihrer Küche oder ihrem alten Badezimmer und wollen genau die selben Stücke wieder. „Aber da ist es wie bei der Mode“, erklärt Schittek. „Alle zwei Jahre ändert sich der Geschmack, und dann gibt es die alten Sachen nicht mehr.“

Er hat sich die Enttäuschung der Badbesitzer zunutze gemacht und eine Marktlücke entdeckt, in der es auch in der Krise brummt. Sei es Nostalgie oder Geiz: Bevor sie den Raum gänzlich neu ausstatten, suchen viele lieber nach Ersatz. Und Schittek hat fast immer welchen parat.

Erst hat er sie nur selbst nachgemacht, dann von Geschäften und Haushalten aufgekauft. Nun lagern in zwei riesigen Hallen, 16 Meter hoch, Fliesen aus sechs Jahrzehnten. Es ist der mit Abstand größte Fliesenhandel Deutschlands. Schittek ist zum Geschäftsmann geworden – und im Inneren Künstler geblieben.

Noch immer genießt er die Momente, die er in der Werkstatt verbringen kann. Hier formt er den Ton zu flachen Scheiben und setzt den Pinsel an. „Wer Fliesen bemalt, muss sich seiner Sache sehr sicher sein“, sagt er. „Wenn man sich einmal vermalt, kann man sie wegwerfen.“ Am liebsten hat er die Fliesen mit Motiv: Unikate, die Szenen, Tiere oder Schiffe zeigen, und bei denen es ihm noch immer oft weh tut, sich zu trennen. „Das ist wie früher mit den Bildern“, sagt er. „Da sitzt man dran, riecht die Farben, fühlt das Material. Und dann muss man sie hergeben.“

Aber er hat gelernt, die Leidenschaft mit dem Geschäft zu verbinden. Als sein Handel zu groß wurde für die alten Räume und umziehen musste ins Industriegebiet hinter Hamburg-Wilhelmsburg, hat er die neuen Gebäude ein bisschen größer bauen lassen als nötig. Wer im Eingangsbereich nun, statt zum Verkaufstresen zu gehen, nach links abbiegt, gelangt in liebevoll eingerichtete Räume im 50er- oder 70er-Jahre-Stil. Vor zwei Monaten hat Schittek hier seine Ausstellung eröffnet. Für die Besucher, sagt er. Aber eigentlich für sich selbst.

Es ist eine eigene kleine Welt. Hier lagern Fliesen, alte Meisterbriefe und Handwerkszeug, und Schittek hat zu jedem Stück etwas zu erzählen. Er spricht über Jugendstil, die Kaiserzeit, den Ludwig-Erhard-Stil. Es gibt Bilder aus Fliesen, die wie große Mosaike an der Wand hängen. Es gibt Einladungsfliesen, Jever-Fliesen und Jubiläumsfliesen: „1986. Zum 40. Jahrestag der Grenztruppe der DDR.“ Die Ausstellung geht über mehrere Räume und ist die einzige ihrer Art in Deutschland. Fliesenmalerei, sagt Schittek, wird stiefmütterlich behandelt. „Kunsthistoriker und Museen interessiert das nicht.“

Es fällt ihm noch immer schwer, sich als Manager statt als Maler zu sehen. Aber er gewinnt seiner Arbeit gerne etwas Revolutionäres, geradezu Antikapitalistisches ab. „Die heutige Wirtschaftsordnung besagt: Wegwerfen, neu kaufen“, erklärt er. Sein Konzept sei dem genau entgegengesetzt: der Versuch von Nachhaltigkeit in der modernen Wegwerfgesellschaft. Werbung dafür macht er nicht. Er weiß aber auch, dass es nicht nötig ist. Wer nach alten Fliesen googelt, kommt ohnehin nicht an ihm vorbei.