Die Migration von Menschen und Formen

VON ALGERIEN BIS AFGHANISTAN Im Kino in der Kulturbrauerei haben die arabisch-iranischen Filmtage begonnen – mit einem wohltuend differenzierten Programm

Die Musicals aus Bollywood haben zahlreiche Verwandte in arabischen Ländern

VON BERT REBHANDL

Das 20. Jahrhundert war nicht die einzige Epoche in der Geschichte, in der es große Wanderungsbewegungen gab und in der viele Menschen ihre Heimat verlassen mussten oder nie eine solche hatten. Neu ist allerdings, dass wir viele Wege sehr genau verfolgen können und viele individuelle Schicksal gut dokumentiert sind. Das liegt nicht zuletzt an den fotografischen Medien und an einer weltweiten Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen: Reisepass, Sichtvermerk, Aufenthaltsgenehmigung sind die bürokratischen Bedingungen der Migration.

Auf diese Weise entstehen Familien wie die von Nadia Kamel, einer ägyptischen Filmemacherin, die sich von Kairo aus auf den Weg gemacht hat, die vielfältigen Wege ihrer Eltern und Großeltern nachzuzeichnen. „An Egyptian Salad“ heißt der entsprechende Film, in dem neben alten Fotografien auch zahlreiche Reise- und Statusdokumente auftauchen. Bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts, als Muslime aus Abchasien sich in das Osmanische Reich flüchteten, lässt sich dieser „ägyptische Salat“ zurückverfolgen.

Nadia Kamel gibt ihrer Suche ein deutliches Motiv. Zu Beginn geht sie in Kairo mit dem kleinen Nabeel zum ersten Mal zu einem Gebet. Die Predigt, in der die Frontstellung des Islam gegenüber der restlichen Welt drastisch betont wird, wird für sie zum Anlass, für den Jungen nach einem anderen Bezugssystem zu suchen – die internationale Ökumene der Heimatlosen, mit Verwandten in Italien, Palästina …

„An Egyptian Salad“ ist mit einfachsten Mitteln gemacht und überzeugt mit seiner Unmittelbarkeit und den zahlreichen aufschlussreichen Details. Man kann daraus auch deutlich ersehen, wie viel sich in der arabischen Welt in der Zeit nur zweier Generationen verändert hat. Diese Aspekte haben Nadia Kamels Film wohl dafür qualifiziert, dass die vierten Arabisch-Iranischen Filmtage der Heinrich-Böll-Stiftung am Freitag damit eröffnet wurden.

Bis 14. Oktober sind in diesem Programm eine Reihe von Arbeiten aus dem Großraum zwischen Afghanistan und Algerien zu sehen, ausgewählt von Amin Farzanefar, einem ausgewiesenen Kenner des Kinos dieser Region.

Man riskiert nicht zu viel, wenn man die Filme aus dem arabischen Raum als die unbekanntesten im Diskurs des gegenwärtigen Weltkinos bezeichnet. Die Aufmerksamkeit, die der Iran auf den Festivals immer noch genießt, überträgt sich seltener auf Filme aus Ägypten oder gar dem Libanon. Dabei wird aus dem 25-minütigen Filmporträt „Hold on my Glamorous“, in dem eine Diva aus ihrem turbulenten Leben erzählt, durch zahlreiche Ausschnitten aus lokalen Filmen ersichtlich, dass es so etwas wie eine Verbindungslinie im Weltkino gibt, die von Indien bis in den Maghreb reicht. Die Musicals aus Bollywood, die heute weltweit so viele Fans gewonnen haben, haben zahlreiche Verwandte im arabischen Raum – auch dies ein Fall von Migration, nun aber der Form.

Der Iran ist in dem Programm, das den Titel „Der andere Blickwinkel – Freiräume und Grenzen“ trägt, stark vertreten, unter anderem auch mit einer sehr interessanten Dokumentation namens „Jews of Iran“ (Regie: Ramin Farahani), aus der schmerzlich deutlich wird, wie sehr die früher häufig sehr großzügigen interreligiösen Beziehungen inzwischen wieder durch Vorstellungen von „Unreinheit“ aufgeladen werden.

Dass der Iran auch zahlreiche Flüchtlinge aus Afghanistan aufgenommen hat, ist seit längerem ein drängendes Thema, in diesem Fall in dem ganz neuen „Hairan“, einer (schwierigen) Liebesgeschichte von Shalizeh Arefpour. Was in westlicher Perspektive häufig als homogener kultureller Großraum wahrgenommen wird, ist in Wahrheit ein von zahlreichen Grenzen durchzogenes Feld, das die Filmschau „Der andere Blickwinkel“ exzellent erschließt.

„Arabisch-iranische Filmtage: Der andere Blickwinkel“: bis 14. 10., Kino in der Kulturbrauerei, Programm unter event.boell-net.de/OrgClient/Downloads/6899.pdf