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wortwechselUnser Körper. Unser Leben

Der Mensch als Ersatzteillager und Frauen als Ware warendie meistdiskutierten Themen am Ende des Jahres in der taz

Der Mensch als Ersatzteillager? Foto: Science Photo Library/imago

Ich bin kein Ersatzteillager

„Das deutsch Organversagen“,

taz vom 27. 12. 19

Nein, dieses Mal kann ich Ulrike Herrmann ausnahmsweise nicht zustimmen. Natürlich kann man das Leid Betroffener nachvollziehen, und auch ich wäre zu einer Nieren- oder Organspende an Verwandte oder mir nahe stehende Menschen bereit. Mich oder nahe Angehörige im Todesfall jedoch künftig, falls kein Widerspruch vorliegt, einfach anonym als Ersatzteillager zur Verfügung zu stellen, damit hätte ich ein Problem. Trauer um einen Verstorbenen? Dazu ist dann keine Zeit. Ja, ich wähle das böse Wort Ersatzteillager ganz bewusst, denn bei all den Diskussionen um Ethik und moralische Verpflichtung kommt mir ein Punkt immer zu kurz: Wir leben schließlich in einer kapitalistischen Welt, die Frau Herrmann bestens analysiert, und da hat alles seinen Preis – eben auch menschliche Organe. Wo Missbrauch möglich ist, wird es ihn auch geben, das hat nicht erst der Organspende-Skandal gezeigt.

Klaus-Ulrich Blumenstock Stuttgart

Sogenannte Widerspruchslösung

„Das deutsche Organversagen“,

taz vom 27. 12. 19

Weil ich sehr schätze, wie kritisch und fundiert Ulrike Herrmann immer wieder den Mainstream der volkswirtschaftlichen Expert*innen begleitet, bin ich umso erschrockener, wie selbstverständlich sie sich der Meinung jener anschließt, die im Zusammenhang mit der Organtransplantation der sogenannten Widerspruchslösung das Wort reden. Wenn der Kollege Johannes Tran in derselben Ausgabe der taz erläutert, gemäß der Widerspruchslösung „dürften jedem Bundesbürger nach dem Tod automatisch Organe entnommen werden“, versäumt er, darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesem Tod um den sogenannten „Hirntod“ handelt. Patienten, bei denen der „Hirntod“ diagnostiziert wird, sind zwar Sterbende, jedoch keineswegs bereits verstorben, denn zur Transplantation geeignete Organe bedürfen der Entnahme aus noch Lebenden. Zudem ist unter Neurowissenschaftler*innen durchaus umstritten, ob die Methoden zur Diagnose des Hirntodes überhaupt hinreichend geeignet sind, noch vorhandenes Schmerzempfinden des Probanden sicher zu diagnostizieren. Erst wer sich in Kenntnis der gesamten Umstände zu einer „ Organspende nach dem Hirntod „ entscheidet, entscheidet sich wirklich frei und findet meinen größten Respekt.

Rolf Alterauge, Neuwied.

Kein Recht auf Ersatzorgan

„Das deutsche Organversagen“,

taz vom 27. 12. 19

Zwei Aspekte wurden nicht berücksichtigt: 1. Der Artikel 1 des Grundgesetzes schützt die Würde des Menschen. Durch die geplante Widerspruchslösung würde sie verletzt, denn die Regelung sorgt dafür, dass der Mensch ohne sein Einverständnis zum „Ersatzteillager“ für andere Menschen herabgestuft wird. Ich denke, dass die Regelung keinen Bestand haben dürfte, sofern das BVerfG sie prüfen würde. 2. Es gibt kein Recht auf ein Ersatzorgan. Daher ist der Staat auch nicht verpflichtet, eine Regelung zu erlassen, die für eine ausreichende Zahl solcher Ersatzorgane sorgt. Vielleicht würde es helfen, eine Regelung zu treffen, dass nur diejenigen, die einen Organspenderausweis haben, auch im Ernstfall ein Organ bekommen.

Friedrich-Karl Beckmann Pinneberg.

Mär der „freiwilligen Sexarbeit“

„Ein anderer Blick auf Frauen“,

taz vom 24. 12. 19

Mit großer Freude habe ich den Artikel von Margarete Moulin zur Kenntnis genommen. Ich arbeite ehrenamtlich mit Aussteigerinnen aus der Prostitution zusammen und die Mär von der „freiwilligen Sexarbeit“ ist verzerrend und verletzt die Menschenwürde von all denjenigen, die sich durch welche Gründe auch immer prostituieren müssen.

Simone Kleinert

Leider, leider kein Orgasmus

„Ein anderer Blick auf Frauen“,

taz vom 24. 12. 19

„Sexarbeit ist eine Kampfzone um Macht, Moral und Menschenrechte. (…) Beim Sexkaufverbot geht es (…) um Kontrolle, um „richtige“ Sexualität und um Moral.“ Immer wieder werden die gleichen schweren Geschütze aufgefahren, die vernebeln, dass Sex zuallererst ein körperliches Erleben mit anderen ist. In meine Sexualberatungspraxis kommen junge Frauen, die „nuttig“ Porno spielen und daran viel Freude haben, aber leider, leider keinen Orgasmus bekommen. Warum? Weil sie Bildern und Vorstellungen der Sexindustrie, und dazu zähle ich auch Prostitution, folgen, statt ihren eigenen Körper wertzuschätzen und der eigenen Lust den Raum zu schaffen. Zum Beispiel, dass Männer nicht binnen wenigen Minuten ihren Samenerguss haben und sich dann mit dem patriarchalen Code legitimiert umdrehen und meinen, sie seien zu erschöpft, um ihr weiterhin Lust zu bereiten. Dann wird in all diesen Pro-Pornartikeln niemals reflektiert, was es bedeutet, dass die Sexarbeit, die in diesen Artikeln thematisiert wird, ausschließlich von Frauen betrieben wird. Wie ist das 2020 hierzulande nach bald dreißig Jahren Genderstudies möglich? Es gibt erschreckend wenig lustvollen Sex aufseiten der Frauen, es gibt unerträglich viel Show und Gerammel. Es wäre Zeit für selbstschätzende weibliche* Sexualität einzutreten, anstatt immer wieder die genau gleiche Moralkeule zu schwingen und „Moral Macht Kontrolle“ zu schrei(b)en. Es hängt nun mal alles zusammen – eine reine Sexarbeit, wie sollte die in diesem brutalen Feld möglich sein?

Birgit Kübler, Regensburg

Gewalt gegen Frauen

„Ein anderer Blick auf Frauen“,

taz vom 24. 12. 19

Die Realität von Prostitution ist: Gewalt gegen Frauen. Vor allem gegen junge, ausländische Frauen aus prekären Verhältnissen. Frauen, die hier auf dem weitgehend legalisierten Prostitutionsmarkt gehandelt werden wie Konsumartikel. Für eine Käuferschaft, die auf ihrem „Herrenrecht“ beharrt. Für eine ganze Industrie, die ohne große Hindernisse Unsummen am Handel mit (vor allem) Frauen zur sexuellen Benutzung verdient. Das Thema Prostitution ist wie ein Lackmuspapier, das anzeigt, wie ernst eine Gesellschaft es mit Geschlechtergerechtigkeit nimmt. In Deutschland stellte bereits die Evaluation des Prostitutionsgesetzes von 2002 durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fest, dass die Liberalisierung von Prostitution nicht die erwünschten Ergebnisse zeigte: sich prostituierende Frauen/Menschen in die Sozialversicherungssysteme zu integrieren, sie besser zu schützen und Begleitkriminalität vorzubeugen. Es wurde danach politisch nicht das Ruder herumgerissen, um dem Markt hier endlich Einhalt zu gebieten.

Solveig Senft

Prostitution in der Illegalität

„Strafen bringt wenig“,

taz vom 31. 12. 19

Prostitution würde in die Illegalität gedrängt werden, wenn sie verboten wäre, ist meistens das schwache Argument dafür, sie nicht zu verbieten, denn dann wäre es für die Polizei noch schwieriger Verbrechen in diesem Bereich aufzuklären. Doch findet auch jetzt Prostitution in der Illegalität statt, vor allem wenn es um Menschenhandel geht. Darüber hinaus ist es für die Polizei genauso möglich Prostituierte in der Illegalität aufzufinden, wie Freier sie finden, nämlich vielfach über den Anzeigenbereich etc.

Manuela Kunkel, Stuttgart.

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