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Der epochale Wurf von Van Gaal in der Nordkurve

Im Kino nebenan läuft „Fame“ und „Oben“, aus dem Pub tönt „Sharp dressed man“. Richtig: Wir sind auf dem Weg zu Louis van Gaal. Ein Buch hat er geschrieben, und das will nun vorgestellt werden. Nur wo? Es gibt Schreiber, die machen das beim Verlag, in einer Buchhandlung oder einem schönen Saal. Van Gaal ist aber Fußballer. Einer, der bei Ajax groß wurde. Ergo: Amsterdam Arena. Die Royal Box mit ihren 40 Plätzen war zu klein und die Pressetribüne (230 Plätze) kam auch nicht in Frage. Also: Runter aufs Spielfeld, hinterm Tor in der Nordkurve, da würden die 500 Gäste und die Bühne für ihn, den Louis, schon hinpassen.

Den härtesten Job an diesem Abend hatte Ehefrau Truus. Ausdauernd busselte sie als Empfangsdame alle Ehrengäste von Ronald de Boer, Dany Blind, Patrick Kluivert bis Co Adriaanse ab, ließ sich auch nicht von ihrer hin und her schwenkenden Perlenkette aus dem Rhythmus bringen. Unten auf der Bühne unter der geschlossenen Hallendecke warten derweil seine drei Kartenbrüder. Seit 40 Jahren kennen sie sich, noch aus seiner Zeit als Sportlehrer. Sein Spitzname in der Runde: The King.

Doch ihr vierter Mann, er kommt einfach nicht. Auf der Leinwand sieht man van Gaal inmitten eines Stapels noch zu signierender Bücher unwirsch in die Kamera blickend. Dann entert er natürlich doch noch das Podium.

Es wird ein launiger Abend, an dem die Münchner Sorgen weit weg erscheinen. Außer Andries Jonker, seinem treuen Assistenten, ist auch niemand der Bayern-Entourage dabei. Van Gaals zweites Werk nach dem Erstling zur Trainingslehre 1998 beschreibt er selbst als „das einzige Fußballbuch mit einer Vision seit dem Klassiker von Jan van der Lent“. Besagtes Buch erschien 1946. Das 400 Seiten dicke und 50 Euro teure Opus des Bayern-Coachs trägt den Namen „Louis van Gaal – Biografie und Visie (Vision)“. Treffender wäre: „Das Buch Louis – die Offenbarung“.

Nicht nur seine Trainings- und Taktikgeheimnisse verrät er (inklusive Strichmännchen-Zeichnungen), sondern auch Intimstes. Eine Kostprobe: „Kein Sex vor der Ehe? Das ist nicht gelungen.“ Schon mit zehn, elf Jahren habe er sich für Mädchen interessiert: für Carla, die Tochter vom Milchhändler, aber auch für Inge mit den schönen langen Haaren … Eine kurze Phase. Danach gab es nur Fußball. Erst mit 18 wurden die Damen wieder interessant. Die Situation, als ihm seine spätere Gattin Fernanda beim ersten Tanz eröffnete, sie habe einen anderen, beschreibt van Gaal so: „Woraufhin ich die legendären Worte sagte: ‚Ich werde immer auf dich warten.‘ Nun, vier Wochen später war es so weit.“ In diesem Stil geht es weiter, 400 Seiten lang. Louisvangaalsuperstar. An dem Tag, als von einer höheren Instanz Ego und Selbstvertrauen verteilt wurde, hatte Louis van Gaal einen riesigen Rucksack dabei. Mindestens. THOMAS BECKER