Von Hesse bis Luxemburg

PREMIERE Das Theaterlabor spielt, bis keiner mehr da ist. Regisseur Patrick Schimanski über die Bespielung eines Gebäudes und ein Theaterstück über das bessere Leben

■ Jahrgang 1965, wurde in Worms geboren und ist Regisseur, Komponist und Musiker. Er arbeitet regelmäßig als Regisseur für das Bremer Theaterlabor. Zuletzt inszenierte er in Bremen Tom Peuckerts Stück „Die berühmtesten Dramen der Welt“.

INTERVIEW ANDREAS SCHNELL

taz: Herr Schimanski, Sie haben am Theaterlabor in der Vergangenheit viele Klassiker des linken Theaters inszeniert. Jetzt zeigen Sie mit „Wir spielen bis der Scheiß aufhört“ eine Revue. Das klingt nach Boulevard …

Patrick Schimanski: Das ist eher zu verstehen wie damals bei „Hans im Glück“, einer „soziopoetischen Revue“. Es geht um die Thematik, die auch das Festival „Auf Vermögen angelegt“ bestimmt, diesmal aber mehr als bei „Hans im Glück“, weil es keinen roten Faden gibt. Wir haben wochenlang intensiv über die Thematik diskutiert, auch im Zusammenhang mit dieser leidigen Debatte um den Kulturinfarkt. Und wir haben uns damit beschäftigt, wie die Geistesberufe zu Praktikantenberufen verkommen, was den Kreativbereich ja massiv einschließt.

Dem wollen Sie nun etwas Vergnügliches entgegensetzen. Was ist an dem Thema unterhaltsam?

Wir haben uns zunächst überlegt, die Räume des Schlachthofs zu benutzen, was insofern sehr attraktiv ist, weil sie so verschieden sind und die meisten Räume, die wir benutzen, einen wunderbaren Blick über Bremen haben und zudem überhaupt keine klassische Theateranmutung haben. Dann haben wir uns darüber unterhalten, wie heute zeitgenössische Performance-Praktiken aussehen und wie sich das aus der Praxis von John Cage und anderen Erneuerern auch ins Sprechtheater hineinentwickelt hat, und haben da über viel Improvisation geschaut, was daraus werden kann. Daraus sind Miniaturen geworden, die mal sehr amüsant sein können, mal eher ernst.

Gibt es einen Zeitplan, wo man von Ort zu Ort geht, oder kann man flanieren wie man möchte?

Es gibt eine Kernzeit ab 21 Uhr. Der Abend beginnt im Magazinkeller mit einem Chorsprechstück nach Thomas Brasch über die Regeln, danach kommt ein Stück von Hermann Hesse über den Müßiggang, danach erklimmt das Ensemble mit dem Publikum die Treppen zur Theaterwerkstatt, wo es mit einem satirischen Text über das Aussteigen weitergeht.

Von wem ist der Text?

Von einem fiktiven Autor, den die Teilnehmer erfunden haben. Sie haben sich mit echten und fiktiven Aussteigern beschäftigt, ohne die Texte zu adaptieren. Dann haben wir zum Thema improvisiert, den Ton mitgeschnitten und das Ergebnis eins zu eins transkribiert. Das haben die Schauspieler dann wieder auswendig gelernt. Ein bisschen wie bei René Pollesch. Dann geht es ein Stockwerk höher weiter. Im Uhrenraum wird ein langer Tisch stehen mit berühmten Persönlichkeiten verschiedener Epochen. Die sprechen darüber, wie man leben soll und ob alles nur auf Kapital fixiert ist. Im Grunde also die Grundfragen des Festivals. Das geht von Frida Kahlo über Rosa Luxemburg bis Ulrike Meinhof und George Danton, zwölf an der Zahl. Einer, mit dem wir uns immer wieder beschäftigt haben, ist nur als Namenschild vertreten, für die Kenner: Genesis P. Orridge kann man nicht nachmachen.

Ist das Zufall, dass es zwölf Personen sind, wie beim letzten Abendmahl?

Es ist natürlich schon ein bisschen gewollt, klar. Es erinnert ein bisschen an das Gemälde von Andy Warhol, wo zwölf Prominente am Tisch sitzen. Danach gibt es noch eine Messe nach Walter Benjamin, der ja Kapitalismus als Religion definierte. Da werden Charts von verschiedenen Global Playern gesungen.

Charts? Also Hitparaden?

Nein, Börsenkurse, die nennt man ja auch Charts. Dann gibt es noch einen Text von Heiner Müller, der schließt die Kernzeit ab.

Und dann geht es „bis der Scheiß aufhört“ …

Genau. Zwischendurch werde ich mit Ulrich Müller, dem Gitarristen der Gruppe 48 Nord auf Schlagzeug, Gitarre und Elektronik improvisieren, wobei wir Stimmen aus dem Stück verwenden. Außerdem gibt es in verschiedenen Räumen kleine Stücke.

Kann man denn als Zuschauer alles sehen, was gezeigt wird?

Wenn man Lust hat, auszuharren bis nichts mehr geht, hat man auf jeden Fall die Möglichkeit.

Gibt es bei so vielen verschiedenen Stimmen denn eine gemeinsame Aussage?

Wir stellen eher Fragen. Und natürlich geben die Prominenten in ihren Zitaten Antworten. Und da geht es mir und auch den Teilnehmern so, dass man denkt: „Es gab schon Zeiten, wo Menschen mutiger Dinge formuliert haben.“

Wer durchhält, bekommt ein Frühstück?

Es kann so lange gehen, aber es muss nicht. Wir wollen keine Rekorde brechen.

■ Samstag, 21 Uhr, weitere Aufführungen am 15. 9., 28. und 29. 9., Schlachthof