Kein Platz mehr für Annette Schavan

Annette Schavan (57) will nicht mehr im CDU-Präsidium sitzen. Weil sie erreicht hat, was sie erreichen wollte. Sagt die Bildungsministerin. Weil sie für Kanzlerin Merkel zum Risiko geworden ist, sagt Kontext-Autor

Hans-Peter Schütz

Es klingt einsichtsvoll, altersweise und staatstragend, wenn Annette Schavan ihren Rückzug als stellvertretende CDU-Vorsitzende mit dem Satz begründet: „14 Jahre sind genug.“ Wann erleben wir schon einmal, dass Spitzenpolitiker aus eigener Einsicht zugeben, dass ihre politische Leistungskraft erschöpft ist?

Genau dies ist aber bei der CDU-Bundesbildungsministerin nicht ernsthaft der Fall. Denn im gleichen Atemzug versichert sie, ihre Lust auf Politik sei „ungebrochen“. Na denn. Das zwingt förmlich zu der Frage, was die wahre Ursache ihres so edel verkauften politischen Rückzugs ist. Zumal sie mit gleichem Atemzug den Ehrgeiz offeriert, im Bundestag als Abgeordnete natürlich weiterhin mit zu politisieren und auch keineswegs auf eine erneute Berufung ins Amt der Bildungsministerin nach der Bundestagswahl 2013 zu verzichten.

Das zwingt zu der zweiten Frage: Hat Schavan „genug“, weil sie beim Blick auf die politischen Realitäten als stellvertretende CDU-Vorsitzende genug haben muss? Die Antwort ist klar: Genau so ist es.

Schavan passt nicht in eine Große Koalition

Erstens: Wie es aussieht, wird es 2013 für Angela Merkel nicht mehr zu einer schwarz-gelben Koalition reichen. Am wahrscheinlichsten ist die Neuauflage einer Großen Koalition. Und wenn eine CDU-Politikerin keine Chance hat, von der SPD im Bildungsbereich als Ressortchefin akzeptiert zu werden, dann Schavan. Sie hat sich geweigert, sich der berechtigten, massiven Kritik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der SPD an der Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge zu stellen. Stattdessen versucht sie, eine Reform der Mängel dieses Systems auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben.

Zweitens: In einer Merkel-Stellvertreterin Schavan steckt ein erhebliches Risiko für den kommenden Bundestagswahlkampf. Noch immer ist ungeklärt, ob Schavan 1980 bei ihrer Doktorarbeit aus anderen Arbeiten abgekupfert hat. Die mit der Prüfung befasste Universität Düsseldorf will ihr Ergebnis Mitte nächsten Jahres vorlegen. Eine Bildungsministerin, die sich für Plagiate rechtfertigen müsste, wäre ein Wahlkampfgeschenk für die Opposition. Denn schärfer und hoch moralischer als Schavan hat niemand darauf gedrängt, den CSU-Plagiator zu Guttenberg unverzüglich zu feuern. Für die CSU wäre es geradezu patriotisch-wissenschaftliche Pflicht, bei Schavan ebenso harsche Konsequenzen zu fordern für den Fall, dass …

Drittens: Seit Jahren profiliert sich Schavan systematisch als engste Vertraute der Kanzlerin und erklärt damit die Tatsache, dass sie bei den Wahlen zur CDU-Führung stets die schwächsten Ergebnisse kassiert. Knapp über 60 Prozent Zustimmung, maximal knapp über die 70-Prozent-Marke, schlechter schnitt niemand ab. Schavan erklärte dies gerne damit, dass sich an ihr der wachsende Unmut in der CDU über Merkel festmache. Wenn auf dem CDU-Bundesparteitag in Hannover im Dezember jetzt erneut gewählt wird, könnte Schavan noch härter abgestraft werden, träte sie wieder an. Denn sie gehört zu den schärfsten Kritikern jener CDU-Konservativen, die derzeit an einem Manifest arbeiten, in dem Merkels Parteikurs kritisiert werden soll.

Basisarbeit hält Schavan für Zeitverschwendung

Viertens: Schavan tut sich jetzt schon schwer genug, in ihrem Wahlkreis Ulm überhaupt wieder als CDU-Kandidatin aufgestellt zu werden. Basisarbeit hält die frühere baden-württembergische Kultusministerin (1995–2005) erkennbar für Zeitverschwendung. Und wenn sie schon in Ulm weilt, dann in der Regel nur zu Terminen an der lokalen Uni. Das flache Land, wo es ja auch noch CDU-Wähler geben soll, meidet sie. Unvergessen ist in der Landes-CDU zudem, dass die Teufel-Freundin zu den treuesten Anhängern von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus gehörte. Die personelle Krise der Landespartei wird auch ihr angelastet. Bei der Vertreibung Günther Oettingers nach Brüssel war sie eine willige Helferin der Kanzlerin.

So gesehen ist der Verzicht Schavans eigener Einsicht in politische Schwächen geschuldet. Der angeblich freiwillige Rückzug Schavans aus dem Amt passt aber auch aus strategischen Überlegungen Merkels in die politische Landschaft. Nachdem sie allenthalben potenzielle männliche Konkurrenten in der CDU abgeräumt hat, tut sie sich schwer mit attraktiven Köpfen in ihrer CDU-Mannschaft für die Bundestagswahl.

Thomas Strobl? Kein Ersatz

Die baden-württembergische CDU, immerhin nach Nordrhein-Westfalen zweitstärkster Landesverband, kann keinen überzeugenden Ersatz für Schavan aufbieten. Thomas Strobl, der Landeschef und Schäuble-Schwiegersohn? Da zucken viele in der Landes-CDU zurück. Auch er gebärdete sich als überzeugter Mappus-Anhänger. Und in NRW muss Merkel vielleicht Armin Laschet als einen ihrer Stellvertreter im Vorsitz der Bundespartei aufbieten. Auch nur matter Ersatz für Norbert Röttgen. Julia Klöckner dagegen, die CDU-Fraktionschefin in Rheinland-Pfalz, macht im Kampf gegen SPD-Dauerministerpräsident Kurt Beck bisher eine ordentliche Figur. Beck ist durch die Nürburgring-Pleite angeschlagen, so dass die CDU in diesem Bundesland endlich wieder einmal eine kleine Chance besitzt, nach zwanzig Jahren aus der Opposition herauszukommen.

Julia Klöckner? Alternativen zu ihr gibt es in Mainz nicht. Überzeugende Männer sind in der CDU zur Rarität geworden. Angela Merkel hat sie alle abgeräumt, wenn sie nur halbwegs den Eindruck erweckten, ihr eines Tages Konkurrenz um den CDU-Vorsitz machen zu wollen. Ein Hoffnungsträger könnte vielleicht noch Thomas de Maizière werden, aber der scheint mit dem Amt des Verteidigungsministers zufrieden zu sein. Bliebe noch David McAllister als überzeugender Schavan-Ersatz. Aber auch er würde ihr den Bundestagswahlkampf belasten, wenn er Anfang kommenden Jahres die CDU-Macht in Niedersachsen nicht verteidigen kann.

Wie schwer es Merkel fällt, auch nur eine Annette Schavan überzeugend zu ersetzen und auch nur halbwegs überzeugenden und populären Ersatz zu bieten, legt offen, wie einsam es um sie in der CDU-Führung geworden ist.