SONJA VOGEL LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Sieg des fäkalphoben Saubermanns

Natürlich sind zehn Deutsche dümmer als fünf Deutsche“, wusste Heiner Müller. Wie verhält es sich mit Tausenden? Das konnte man vor 20 Jahren in Rostock beobachten, als sie sich vor einem Flüchtlingswohnheim zusammenrotteten: Viele warfen Brandsätze und Steine, einigen ging „ganz automatisch“ der Arm hoch. Die meisten jubelten, als Menschen um ihr Leben bangten. Empathie? Keine Spur.

Zuvor hatten Asylsuchende vor dem überfüllten Wohnheim schlafen müssen. Die NachbarInnen sorgten sich derweil um die Grünflächen. Niemand kümmerte sich um die erniedrigten Menschen, vor allem rumänische Roma, die man nun so sah, wie Medien sie beschrieben hatten: schmutzig, hungrig, asozial.

„Der Antiziganismus hat das Pogrom entfacht“, schreibt Thomas Prenzel in „20 Jahre Rostock-Lichtenhagen. Kontext, Dimensionen und Folgen der rassistischen Gewalt“ (Rostocker Informationen zu Politik und Verwaltung 32/2012). Bis heute wird darüber geschwiegen. Vermutlich weil viele die antiziganistischen Ressentiments teilen. Rostock gilt als konformistische Revolte: an die Herrschenden adressiert, gegen die Schwächsten gerichtet. Geduldet von der Obrigkeit. Adorno hat in diesem Mix aus Gehorsam und Auflehnung den autoritären Charakter verortet. Zu Recht werden dessen Züge mit denen der analsadistischen Phase, wie sie das Kleinkind nach Freud durchläuft, verglichen: pedantisch, intolerant, besitzstrebend. Das Pogrom von Rostock als kollektive Regression? Genau das. Ein Zustand, in dem sich der Pöbel als „fäkalphober Saubermann“ (Joachim Bruhn) an seinem Aggressionsobjekt ausagiert.

Und der Saubermann hat sein Ziel erreicht: Wohnheim geräumt, Ausländer weg, Asylrecht beschnitten und die Ordnung wiederhergestellt. Dazu passt, dass den AnwohnerInnen Mietminderungen eingeräumt wurden, während den Opfern eine Entschädigung versagt blieb. Die betroffenen Roma dürften davon nichts mitbekommen haben. Ihre Ausweisung stand noch 1992 fest.

■ Die Autorin ist ständige Mitarbeiterin der taz-Kulturredaktion