Borussia Dortmund fördert Kinderarbeit

Der 16-jährige Nuri Sahin gab am Wochenende sein Debut bei Borussia Dortmund. Damit ist er der jüngste Spieler, der jemals in der Fußball-Bundesliga auflief. Das 2:2 beim VfL Wolfsburg geriet darüber fast zur Nebensache

WOLFSBURG taz ■ Es ist einigermaßen schwierig, bei Nuri Sahin den Überblick zu behalten. Über ihn ist in den vergangenen Tagen viel geschrieben worden. So war zu lesen, dass er immer von seinem Bruder Ufuk zum Training von Borussia Dortmund gefahren werde. Andere Quellen berichten, dass er im Jugendhaus des BVB im Dortmunder Kreuzviertel wohne und dort für sein Abitur lerne. Da jenes Viertel nur etwa zehn ordentliche Abschläge eines Torhüters vom Trainingsplatz entfernt ist, bleibt die Frage, warum sich Sahin immer chauffieren lassen sollte. Es gibt noch andere Ungereimtheiten. Der „Rooney aus dem Kreuzviertel“ wird im selben Artikel der Süddeutschen Zeitung auch „Franz Beckenbauer des Turbo-Zeitalters“ genannt. Manche sagen über Sahin, er sei ein Wunderkind, mindestens aber ein Weltklasse-Talent. Der FC Chelsea und der FC Arsenal sollen bereits Millionen-Beträge geboten haben. Das neue Stück Tafelsilber aber wollte BVB-Geschäftsführer nicht zu Geld machen. Er lehnte ab.

Sahin ist seit Samstag der Jüngste, der jemals in der Bundesliga Fußball spielte. „Ein komisches Gefühl“ sei es kurz vor dem Anpfiff beim 2:2 in Wolfsburg gewesen, sagte Sahin, als es vorbei war. Er habe „ein bisschen Gänsehaut“ gespürt. Er wird sich daran gewöhnen, genau wie an seinen Alterungsprozess. Sahin wird immer in Sieben-Tage-Schritten älter. Am Samstag war er 16 Jahre und 335 Tage alt, beim Derby gegen den FC Schalke 04 wird er 16 Jahre und 342 Tage alt sein. Am 5. September ist das Spielchen aus. Dann wird Sahin 17 Jahre alt und vielleicht Stammspieler bei Borussia Dortmund sein, selbst wenn Sebastian Kehl wieder gesund ist. Nach seinem Debüt als zentraler Mann im defensiven Mittelfeld darf Sahin darauf hoffen. „Ich bin erleichtert“, sagte der im Sauerland geborene Türke, der vor wenigen Wochen mit der U17 Europameister und zum besten Spieler des Turniers gewählt wurde.

In Ansätzen zeigte Sahin in Wolfsburg, was er drauf hat: gute Tacklings, schnelles Passspiel, er ahnte einige Pässe des Gegners voraus. Sahin kann austeilen (Gelbe Karte nach Foul an Diego Klimowicz) und einstecken (Klimowicz sah für ein Foul Gelb). „Er hat sehr gut, sehr professionell und selbstbewusst gespielt“, sagte Trainer Bert van Marwijk. Mit der Einschränkung, dass Sahin anfangs Probleme gehabt habe. Kein Wunder, denn Andres D‘Alessandro schob ihm nach 100 Sekunden den Ball durch die Beine. „Der darf das“, grinste Sahin, „bei jedem anderen wäre ich ausgerastet.“

Schlimmer als der Beinschuss wäre für Sahin gewesen, wenn D‘Alessandro in der Nachspielzeit getroffen hätte. Die Chance dazu bot sich dem Argentinier aus zehn Metern, doch er jagte den Ball unkontrolliert weit über das Tor. Wenig später war eine mäßige Partie beendet. Diego Klimowicz (9.) und Kevin Hofland (82.) trafen für den VfL, Ebi Smolarek (55.) und Jan Koller (81.) für den BVB. Wolfsburgs Trainer Holger Fach, der nach seinem Debüt in der Volkswagen Arena sehr überraschend von einem „sehr guten Fußballspiel“ sprach, schritt zu D‘Alessandro, um ihn aufzumuntern. Van Marwijk ging zu Sahin, flüsterte ihm einige Worte ins Ohr und gab ihm einen Klaps. Das durfte auch als Trost gelten, denn D‘Alessandro hatte Sahin noch einmal übel mitgespielt. Der Argentinier hatte sein Trikot schnell getauscht. Sahin kam zu spät, ein anderes kam nicht in Frage. Deshalb packte er sein eigenes, das schwarz-gelbe Trikot, ein. Das will er seiner Mama geben. Familie Sahin wird künftig mit noch mehr Geschenken rechnen dürfen. Es ist zu lesen, dass Sohn Nuri in Kürze seinen ersten Sponsorenvertrag unterschreiben wird. Geld soll es nicht geben, dafür die Ausrüstung eines Sportartikelherstellers. Der erste Profivertrag ist schon unterschrieben, er endet am 30. Juni 2009. Sahin ist dann fast 21 Jahre alt. Er hat dann wahrscheinlich Führerschein, Abitur und viele Trikots. Vielleicht lässt sich dann auch schon mehr darüber sagen, ob es in Richtung Beckenbauer oder Rooney geht. MARCUS BARK