taz-adventskalender: Berlin liebt dich nicht!
Joachim Lottmann: Die Jugend von heute. KiWi 2004, Taschenbuch, 322 Seiten, 8,99 Euro
Wer etwas über Berlin lesen will, hat viel Auswahl. Die schönsten Schriftstücke stellt die taz bis Weihnachten täglich vor. Und es geht nicht nur um Bücher!
Berlin in den Nullerjahren: Der Abglanz der Techno-Jahre verblasste, der Glanz der schönen neuen Hauptstadt schien noch weit entfernt. Berlin war nicht viel mehr als die ehemalige Mauerstadt, kalt, grau und finster, mit einer horrenden Zahl von Arbeitslosen, einer steigenden sozialen Kälte, einem Bürgermeister, der zwar schwul und gut so war, aber die neue Armut als sexy titulierte: So stellte sich die Stadt dar, in die ich genauso kaputt, arm und sexy gezogen war.
Joachim Lottmann war auch in der Stadt, er schrieb das Buch der Stunde und feierte damit unverhofft ein großes Comeback. „Ich wollte nie mehr schreiben und nur noch eines: weg! Weg von Berlin. Alles andere war egal“, hebt das Buch an, um sich auf mehr als 300 höchst amüsanten Seiten den Lebens- und Liebeslügen dieser Stadt zu widmen, der eitlen Kaputtheit, der seltsamen Liebespolitik. „Die Jugend von heute“ war ein Anti-Berlin-Roman und ein Anti-Jugend-Roman dazu!
„Die Jugend mochte mich nicht“, heißt es auf der ersten Seite, „die Jugend war Berlin. Noch nie war ich so permanent so gnadenlos nicht geliebt worden wie da.“ Dann nimmt ihn, die Selbstgespräche führende Hauptfigur, sein Neffe Elias mit durch die dunklen Zonen der Stadt, Cafés und Bars. Es geht lustig und kreuz und quer durchs Berliner Nachtleben, durch die Szenetheater und Techno-Tempel, was alles ein bisschen so verrückt und irre ist wie später in dem Berlin-Film „Oh Boy“ von 2012.
Aber natürlich ist „Die Jugend von heute“ auch ein Lottmann-Buch. Was bedeutet, dass viel gelästert und viel nicht verstanden wird. Der Erzähler nimmt die ganze Stadt einschließlich sich selbst auf die Schippe und mokiert sich sentimental über die Zustände. Früher war nicht alles, aber doch so einiges besser! Zum Beispiel die Liebe zwischen Mann und Frau. Stimmt zwar nicht, lustige Argumente bringt der Autor dennoch. „Dann war es damals so wie heute? Oder heute war es wieder so wie vor 60 Jahren? Immer schön verklemmt und dann rein in die Dauerbeziehung? Oder war es zu allen Zeiten so?“
Und was hat sich in der Zwischenzeit geändert? Jetzt gibt es Tinder, die Dauerbeziehung ist passé. Neukölln ist Szeneviertel, es gibt Clubsterben und Expats, und Vermieter demonstrieren gegen den Mietendeckel. Berlin verändert sich, nicht immer zum Guten, nicht immer zum Schlechten. Lottmann ist nach Wien ausgewandert, hat geheiratet und sein Glück gefunden (oder auch nicht). René Hamann
Berlin-Faktor: Berlin und Anti-Berlin in einem!
Taugt als Weihnachtsgeschenk für: dich und deinen Neffen; alle, die mal irgendwas mit „Jugendkultur“ am Laufen hatten
Kunden, die das kauften, kauften auch: „Rave“ von Rainald Goetz, „Das Alphabet der Stadt“ von mir:)
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