Eintöniges Klima

Ist der deutsche Klimaprotest zu weiß und privilegiert? Minderheiten beklagen fehlende Sichtbarkeit

von Sarah Brockhaus, Paula Haase, Annika Hoffmann undSarah Johanna Langner

Am vergangenen Freitag versammelten sich zehntausende Menschen am Brandenburger Tor zum globalen Klimastreik. Auf der Straße und in den Medien entstand dabei erneut der Eindruck, dass deutsche Klimaktivist*innen weiße, privilegierte Jugendliche aus der Mittelschicht sind. Auch eine Studie des Berliner Instituts für Protest- und Bewegungsforschung belegt, dass Minderheiten und Menschen mit Migrationshintergrund in der Fridays for Future-Bewegung (FFF) unterdurchschnittlich repräsentiert sind. So ist die Mehrheit der Aktivist*innen zwischen 14 und 19 Jahren alt, weiblich und stammt aus einem Akademikerhaushalt. Generell seien Demonstrationen, insbesondere Klimaproteste, die Domäne der gut Gebildeten, so die Forscher*innen.

Nimmt man die Ergebnisse der Studie ernst, wirkt es, als seien andere Menschen von der Klimabewegung ausgeschlossen. Kevin Okonkwo von der BUNDjugend hat dieses Problem erkannt. Gemeinsam mit anderen Aktivist*innen unterstützt er das Projekt Locals United. Das Projekt möchte die Unterrepräsentierung von Menschen aus marginalisierten Gruppen, wie zum Beispiel BIPOC (Black, Indigenous, People of Color) oder FLINT (Frauen*, Lesben, inter, non-binary und trans* Personen) aufbrechen. Veranstaltungen der Klimabewegung können so gestaltet werden, dass sich alle Menschen wohl fühlen, sagt Kevin Okonkwo. Ein gutes Beispiel sei die Kundgebung beim globalen Klimastreik am vergangenen Freitag, die live in Gebärdensprache übersetzt wurde. Um unterrepräsentierte Gruppen für die Klimabewegung zu gewinnen, stellt er den persönlichen Kontakt zu Organisationen her, die sich mit Antirassismus und Antidiskriminierung beschäftigen und vernetzt sie.

Erste gemeinsame Aktionen fanden bereits statt, wie das Camp for [future], weitere sind in Planung. Kevin Okonkwo fordert, dass ein Dialog zwischen FFF und gesellschaftlichen Gruppen wie BIPOC und LGBT entsteht, um gemeinsam zu demonstrieren.

Gülcan Nitsch mobilisiert schon seit vielen Jahren Menschen aus anderen Kulturen für den Klimaschutz: Die türkischstämmige Berlinerin hat 2006 den Verein Yeşil Çember – türkisch für “Grüne Kammer“ – in Berlin aufgebaut, der niedrigschwellige Angebote für Umweltbildung schafft und interkulturellen Dialog fördert. Vor zwei Jahren hat sie das Projekt auch für die arabischstämmige Community geöffnet. FFF müsse vom Lebensalltag der Menschen ausgehen und mit positiver Ermutigung arbeiten, sagt sie. “Die Menschen sind bereit, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen.“ Sie setzt auf den Schneeballeffekt: Einzelne Menschen aus marginalisierten Gruppen, die sich bei FFF engagieren, begeistern weitere Menschen aus ihrem Umfeld dafür. Auf diese Weise bekomme die Bewegung neue, bereichernde Stimmen, die bisher wenig vertreten sind.

Kultur sei laut Gülcan Nitsch der zentrale Ansatzpunkt, um Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen: “Viele Menschen denken, dass die Sprache die Hürde ist. Aber eigentlich ist es die Art, wie kommuniziert wird.“ Wie Menschen in anderen Kulturen miteinander umgehen, müsse bei FFF mehr beachtet werden. Für den nächsten Klimastreik schlägt Gülcan Nitsch vor, neben der Demo Workshops zu organisieren. Dabei möchte sie Aktivist*innen verschiedener Kulturen und verschiedenen Alters zusammenbringen und Sensibilität im Umgang miteinander vermitteln.

Die Beispiele von Kevin Okonkwo und Gülcan Nitsch zeigen: Klimaaktivist*innen sind doch nicht nur weiße, privilegierte Jugendliche.

Sarah Brockhaus, Studentin Mensch & Umwelt; Paula Haase, freie Autorin; Annika Hoffmann, freie Autorin; Sarah Johanna Langner, Germanistin