Ein Puzzle aus unzähligen Steinen

Im Hamburger Prozess um die Anschläge vom 11. September 2001 beginnen heute voraussichtlich die Plädoyers. Obwohl sich die Rahmenbedingungen des Verfahrens gegen Mounir El Motassadeq zwischenzeitlich geändert haben, ist das Ergebnis offen

Von Elke Spanner

Es ist symptomatisch für den Prozess gegen Mounir El Motassadeq, dass selbst alte Nachrichten in neuem Gewand für Aufsehen sorgen. Vorige Woche schien die Neuigkeit eine Wende einzuleiten, dass der Marokkaner Kontakt zu einem der Chef-Rekrutierer des Terrornetzwerkes al-Qaida gehabt haben soll – obwohl unbestritten ist, dass er sogar mit den Todesfliegern vom 11. September befreundet war. Denn der Prozess um die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon ist inzwischen in den zähen Versuch gemündet, aus unzähligen, für sich betrachtet unbedeutend wirkenden Puzzlesteinen das richtige Bild der Beziehung zwischen Motassadeq und den Terrorpiloten aus Hamburg-Harburg zusammenzusetzen. Ob dabei schließlich das Porträt eines al-Qaida-Terroristen oder eines unschuldig verfolgten Elektrotechnikstudenten entsteht, wird sich ab heute abzeichnen: Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) beginnen die Plädoyers im Vefahren gegen Mounir El Motassadeq.

Die Zeichen stehen für ihn günstiger als in seinem ersten Prozess vor dem OLG. Das hatte ihn im Februar 2003 der Beteiligung am Mord in 3.066 Fällen und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen: Durch Hilfsdienste wie die Überweisung von Geld habe er die Attentäter bei der Vorbereitung der Anschläge unterstützt. Der Bundesgerichtshof (BGH) aber hat die Verurteilung zu 15 Jahren Haft aufgehoben und den Fall nach Hamburg zurückverwiesen: Die US-amerikanischen Geheimdienste hatten Aussagen des mutmaßlichen Terror-Drahtziehers Ramzi Binalshibh, der an unbekanntem Ort inhaftiert ist, zurückgehalten. „Die Möglichkeit der Wahrheitsfindung“, befand der BGH, „war eingeschränkt“.

Inzwischen liegen dem OLG Auszüge der Binalshibh-Aussagen vor. Darin beteuert der mutmaßliche al-Qaida-Kader, Motassadeq habe nichts von den Plänen der Hamburger Terrorzelle gewusst. Dass Binalshibh Motassadeq entlastet, bestätigte auch der arabische Journalist Yosri Fouda Mitte Juli dem Gericht. Der Korrespondent des Senders al-Dschasira hatte mit Binalshibh vor dessen Festnahme im April 2002 in Pakistan noch ein Interview geführt. Darin habe jener beteuert, dass nur er selbst und die Todesflieger in den mörderischen Plan eingeweiht waren. Allerdings schränkte Fouda ein, dass Binalshibh womöglich seine Hand schützend über andere Verdächtige legen wollte.

Seit das Verfahren gegen Motassadeq neu aufgerollt wurde, haben sich auch die Rahmenbedingungen geändert. Inzwischen ist der parallel angeklagte Abdelghani Mzoudi rechtskräftig freigesprochen – unter anderem wegen der Aussage von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm. Der hatte von der VS-Erkenntnis berichtet, dass die Anschlagspläne erst im Jahr 2000 von der al-Qaida-Führung in Afghanistan entwickelt wurden – während die Anklage und im ersten Motassadeq-Verfahren auch das Gericht davon ausging, dass die Hamburger Todespiloten selbst bereits im Jahr 1999 den Plan gefasst hätten. Motassadeq-Anwalt Udo Jacob frohlockte deshalb, dass nun das Fundament der Anklage gegen seinen Mandanten zusammengebrochen sei.

Das Gericht hat den Optimismus der Motassadeq-Anwälte gebremst. Der Vorsitzende Richter Ernst-Rainer Schudt warnte vor einer Überbewertung der Binalshibh-Aussagen, da diese womöglich unter Folter zustande gekommen sind. Außerdem komme in der Beweisaufnahme immer wieder „ein Mosaiksteinchen hinzu“. So wie in der vorigen Woche. Hält das Gericht dennoch an seinem Zeitplan fest, wird das Urteil gegen Motassadeq am 19. August verkündet.