„Ich stand vor allen Mikro­fonen“

Der Unternehmer Wolfgang Trede möchte für seinen Stadtteil Hamburg-Rahlstedt echten Landschafts-, Biotop- und Naturschutz. Ein Gespräch über Frageverbote, die Macht der Alten und Politik als Hobby

Interview Yasemin Fusco Fotos Miguel Ferraz

taz: Herr Trede, Sie streiten viel mit Kommunalpolitikern über Ihren Stadtteil Hamburg-Rahlstedt. Ist Politik Ihr Hobby?

Wolfgang Trede: Es stimmt schon, auf dem Tennisplatz wurde ich mal gefragt, warum ich so viel Freizeit hätte. Ich habe geantwortet, dass ich mir als Selbstständiger meine Arbeitszeit selbst einteilen kann. Heute komme ich so auf eine 67-Stunden-Woche und bin davon nur etwa zwei Tage in meiner Firma. Ansonsten bin ich Hobby-Politiker, ja.

Den Rest Ihrer Zeit teilen Sie also wie auf?

Meine Familie kommt natürlich an erster Stelle. Ich habe gleich drei pflegebedürftige Angehörige, mein Vater ist letztes Jahr verstorben. Danach kommt das Engagement für den Stadtteil, in dem ich aufwuchs.

Wo engagieren Sie sich?

In den Jahren 2015 und 2016 erfuhren wir, dass der Victoria- Park und der Minerva-Park in Rahlstedt mitten in die teilweise geschützte Rahlstedter Feldmark gebaut werden sollen. Im April 2016 wurde im Stadtteilbüro abends in einer Veranstaltung vom Bezirksamt Wandsbek nebenbei erwähnt, dass dort ein neues Gewerbegebiet gebaut werden soll – bis an die Grenze Schleswig-Holsteins. Der Investor hat dann wenig später die Pläne veröffentlicht, ohne die Rahlstedter Bevölkerung oder die Öffentlichkeit ausreichend zu beteiligen. Und deshalb lege ich mich seit 2014 regelmäßig mit der Politik an, weil die alles in Rahlstedt platt walzen wollen.

Was haben Sie gemacht, um gegen den Bau der Gewerbegebiete vorzugehen?

Ich habe insgesamt drei Bürgerbegehren eingereicht, zwei wurden vom Bezirksamt Wandsbek verboten oder außer Kraft gesetzt. Und ich habe dann noch von dem Verkehrsexperten, der die Verkehrsplanung für die Gewerbegebiete gemacht hatte, eine Unterlassungserklärung bekommen, weil er fand, dass es geschäftsschädigend war, dass unsere Initiative damals die Zahlen zum Autoverkehr anzweifelte. Die Daten, die der Experte nahm, kamen aus dem Jahr 1990 – das kann man doch nicht als Basis für Planungen 2019/2020 sehen, geschweige nehmen!

Sie wollten auch das Freibad am Wiesenredder retten. Warum?

Weil das eine Oase für die Bewohner Rahlstedts ist. Ein befreundetes Hausmeister-Ehepaar, das seit fast 50 Jahren auf dem Freibad-Gelände wohnt und sich viele Jahre liebevoll um die Pflege des fast 30.000 m[2]großen Geländes für Bäderland gekümmert hat, ist heute leider alt und erkrankt. Außerdem werden in Rahlstedt wirklich schon zu viele Flächen versiegelt oder nachverdichtet.

Sie erzählten, dass Sie selbstständig sind; was machen Sie?

Ich führe eine kleine Import- und Export-Maklerfirma, die im Jahre 1884 gegründet wurde und bis heute nur von zwei Familien geführt wurde. Ich habe vorher eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann gemacht und dann hat mich mein Vater als junger Erwachsener gefragt, ob ich oder mein Bruder den Betrieb übernehmen wollen. Ich habe mich dann entschieden, die Firma zu übernehmen. Vorher hatte ich eine Sportwerbeagentur. Ein High-Light: Für die Scheichs einen Satelliten so auszurichten, dass die Araber-Rennen live in ihre Heimat übertragen werden konnten.

War schon immer klar, dass Sie irgendwann die Firma Ihres Vaters übernehmen werden?

Nein, ich wollte mal Profi-Tennisspieler werden, damals schien ich gut genug dafür, fand der Trainer, aber meine Eltern haben da schnell einen Riegel vorgeschoben. Die haben gesagt, dass ich erst mal eine Ausbildung machen soll. Heute weiß ich natürlich, dass es nur eine Spinnerei von mir war. Nach dem Abitur und nach 15 Monaten bei den Marinefliegern habe ich zum Glück viel von der Welt gesehen und durfte über 30 Länder bereisen.

Prägt das Ihren Blick auf Migration heute? In Rahlstedt ist sie mit dem großen Erstaufnahmezentrum für Geflüchtete sehr präsent.

Ich bin es einfach gewohnt in Hamburg, dass es Migration gibt. Rahlstedt ist der größte Stadtteil Hamburgs und dort, wo ich wohne, gibt es Unterkünfte für Geflüchtete. Migration ist nie ein Problem gewesen für mich. Ich habe ja selbst viel im Ausland gelebt und sehe das schon immer entspannt – auch in der Jugend beim Tennis und Hockey habe ich schnell Vorurteile abbauen können.

Wohin sind Sie damals als junger Mann gegangen?

Zunächst für ein Jahr nach Detroit. Mein Vater hatte dort persönliche Kontakte und hat diesen Aufenthalt organisiert. Danach hat er mich nach Brasilien geschickt. Ich habe dann abgewogen: Warum sollte man eine Firma nach so vielen Jahren aufgeben, wenn man nicht muss? Ich habe daher aus Überzeugung die Firma übernommen. Es hat und macht mir Spaß, gutes Geld zu verdienen.

Sind Sie jetzt reich?

Ich zahle mein Haus noch ab. Auch wenn ich durch mein Elternhaus versorgt war, musste ich sehen, dass ich mein eigenes Geld verdiene. Nein, manchmal werde ich aber wegen meines Elternhauses von manchen Politikern missgünstig behandelt. Heute können junge Leute von sich aus, auch wenn sie eine Ausbildung machen oder danach ein Unternehmen gründen sehr oft kein Eigentum erwerben – das ist schlimm. Es gibt heute keine soziale Gerechtigkeit mehr so wie früher.

Engagieren Sie sich nur außerhalb von Parteien?

63, wuchs im Hamburger Stadtteil Rahlstedt auf, nach seinem Abitur machte er eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann und übernahm die Firma seines Vaters, heute engagiert er sich in unterschiedlichen Initiativen für seinen Stadtteil. Er ist verheiratet und hat keine Kinder.

Ich wurde häufig wegen meiner direkten Sprache in irgendwelchen AfD-Gefilden vermutet. Ich bin bis vor zwei Jahren aber parteilos gewesen und habe viele Jahrzehnte die SPD gewählt, teilweise aus Überzeugung, aber eben auch, weil ich viele Politiker persönlich kenne – Olaf Scholz war sogar mein Nachbar am Wiesenredder. Im letztem Jahr war ich Kandidat bei der Europawahl für die Partei „die Grauen – für alle Generationen“. Das soll nicht nur eine Seniorenpartei sein, sondern das Thema Rente sollte auch für die Jüngeren eine wichtige Angelegenheit sein.

Wie viele Stimmen haben Sie bei der Europawahl bekommen?

Immerhin 0,1 Prozent. Ich habe nicht mal Wahlkampf gemacht, weil ich privat zu sehr eingebunden war. Das war total spannend, dass mich hier in Hamburg doch einige gewählt haben.

Warum unterstützen Sie eine solche Kleinstpartei?

Sie ist sozial ausgerichtet. Es geht auch darum, dass die Senioren unterrepräsentiert sind in der Republik. Einigen Rentnern geht es gut und sie stellen eigentlich eine Macht dar – sie müssten eigentlich einen größeren Einfluss in Deutschland haben. Es sind Menschen, die auch die alten Zeiten mitgemacht haben und noch was zu erzählen haben. Ich wollte eigentlich für die kommenden Bürgerschaftswahlen für die Grauen kandidieren, konnte aus persönlichen Gründen aber leider nicht, meine Familie braucht mich zu sehr.

Sie haben auch den Hamburger Landschafts- und Klimaschutzverband mitgegründet. Gibt es davon nicht schon sehr viele, gerade in Hamburg?

Wir sind ein Bündnis aus mehreren Bürgerinitiativen, dazu gehört die Ini S4, BIG Fluglärm, Schreberrebellen, Altonaer Manifest, Der Wohldorfer Wald Hilfsfonds e.V. Ich bin auch bei Mehr Demokratie e.V., einer Volksinitiative, die Bürgerbegehren in Hamburg passend zur kommenden Bürgerschaftswahl verbindlich machen will.

Hatten Sie auch mal Zukunftsängste?

Ende der 70er-Jahre konnte man Bewerbungen schreiben und man wurde genommen. Heute ist das schwerer. Viele Jugendliche können nicht mal mehr den Dreisatz. Es ist schon eine komische Situation. Ich hatte aber keine Ängste. Man hatte zu meiner Zeit mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung immer die Möglichkeit, Geld für sich und die Familie zu verdienen. Aber auch bei mir war das Geld mal knapp, vor allem als junger Mensch.

Haben Sie noch Freunde aus der Schule, mit denen Sie heute Kontakt haben?

Ich habe vom Abitur noch so fünf, sechs Freunde. Drei Freunde sind leider gestorben. Einer ist beim Baumarkt, während er seine Fernbedienung für das Auto drückte, einfach tot umgefallen.

Wie gehen Sie damit um?

Ich gehe dann nicht ans Handy, bleibe zuhause, gehe in meinen großen Garten und hacke Holz. Dass ich von den ganz engen Freunden von fünf drei verloren habe, davon war und bin ich bis heute ziemlich erschüttert. Ich habe alles mit ihnen erlebt, sie waren ein Leben lang an meiner Seite. Bis heute denke ich oft noch an sie. Ich habe als Selbstständiger aber das Glück, dass ich auch mal zwei Wochen lang nicht zur Arbeit gehen kann, um mich von so etwas zu erholen. Das haben viele nicht, sie müssen relativ schnell wieder funktionieren.

Waren das Ihre einzigen Erfahrungen mit dem Tod?

Ich habe als junger Mensch mitbekommen, dass alle sechs Jahre zu Weihnachten irgendjemand aus der Familie gestorben ist, sodass ich auf Weihnachten nie richtig Lust habe.

Ich spreche heute noch viel mit Politikern, eigentlich macht es mir immer noch Spaß, mich mit ihnen anzulegen

Was treibt Sie bei all Ihren Anliegen auch noch in die Politik?

Seit 2015 hat mich mein Gerechtigkeitssinn dazu bewegt, Politik zu machen. Da habe ich mich dazu entschlossen, ohne Polemik gegen weitere Versiegelungen von Grünflächen zu kämpfen. Ich habe es geschafft, dass ich in allen Bezirksversammlungen, in allen Hauptausschüssen und im Planungsausschuss vor den Mikrofonen stand und gesagt habe, was nicht geht.

Sie haben eine volle Woche – Arbeit, pflegebedürftige Angehörige und bleiben dann bis spät abends in solchen Veranstaltungen und unterhalten sich über Versiegelungen?

Ja, wie gesagt. Ich habe eine volle Woche mit über 60 Stunden, sieben Tage lang. Was mich auf solchen Veranstaltungen störte, war, dass die Leute von den Bezirksämtern einfach gehen wollten, wenn sie dachten, dass sie jetzt genug mit uns geredet hätten. Aber richtige Nachfragen ließen sie nicht immer zu. Oft hat man uns auch gesagt, dass diese Menschen nicht die richtigen Ansprechpartner seien, obwohl sie vom Fach sind – wir durften immer nur mit den Politikern reden, nicht mit den sogenannten. Experten.

Sind Sie der Politiker*innen in Hamburg mittlerweile überdrüssig?

Ich habe die letzten drei Bürgermeister noch persönlich kennengelernt. Ich spreche heute noch viel mit Politikern, eigentlich macht es mir immer noch Spaß, mich mit ihnen anzulegen – so als Hobby-Politiker.

Wollen Sie noch mal in ein gewähltes Amt?

Ich bilde mir nicht ein, Bürgermeister oder Senator zu werden. Ich würde es mal überlegen, wenn ich die richtigen Menschen und Mitstreiter finden würde, dann wäre ich auch bereit, mehr zu machen. Ich würde mir zutrauen, die anderen Parteien einfach zu stören. Es ist nicht so, wie Olaf Scholz mal gesagt hat: „Ich bin der Senat.“