Papa ante portas

Die geistige Leere der C-Parteien wird angesichts des Weltjugendtags überdeutlich, zeigt er doch Themen einer christlich geprägten Politik. Die Union hat sie vergessen

Wenn die Christ-demokraten Glück haben, wird Benediktin Köln nicht politisch predigen

CDU und CSU haben das langweiligste FDP-Wahlprogramm aller Zeiten vorgelegt. Menschen kommen in der Welt der Union am Rande vor, und nur in ihrer jeweiligen Funktion oder Dysfunktion im Wirtschaftssystem des Standorts Deutschland. Die C-Parteien, die bei der letzten Regierungsübernahme vor 23 Jahren eine „geistig-moralische Wende“ in Aussicht stellten, in diesem Sommer springen sie über die Terrassen der Republik als Kellner, die die Speisekarte von McHayek’s auf den Tisch werfen. Deutschland: ein Rechenwerk. Politik: ein Tabellenkalkulationsprogramm.

Wo „Menschen“ erwähnt werden, bekommen sie die Vokabel „Freiheit“ hingeworfen wie ein Hund einen abgenagten Knochen. Dass der Mensch seinem Wesen nach „Person“ ist, dass er Individuum nur wird durch soziale Bezüge und seine Geschöpflichkeit – kein Gedanke daran. Das „christliche Menschenbild“ taucht im Nachwort auf wie eine verblichene Ansichtskarte aus einem altmodischen Seebad.

Aber kein Mensch will in einem Wirtschaftssystem leben, es reicht völlig, darin zu arbeiten. Doch selbst dort, wo Kultur oder Bildung lakonisch Erwähnung finden, lassen die Unionsparteien in ihrem Programm keinen Zweifel daran, dass diese nur eine der Ökonomie dienende Funktion haben können, andernfalls sind Kulturbedürfnis und Bildungshunger noch nicht ausgerottete Kinderkrankheiten des Homo oeconomicus.

Der erste Abschnitt im CDU-Programm, in dem Ökonomie keine Rolle spielt, findet sich auf Seite 32 von 39. Dort heißt es: „Kunst und Kultur sind untrennbar mit der Identität der Deutschen als Nation verbunden.“ Es ist die alte Ersatzdroge Nationalismus, die die Union stets dann verteilt, wenn ihr die christliche Motivation für Solidarität zu mühsam erscheint. Hier haben sich immerhin nur bemitleidenswerte Kulturschaffende als patriotische Blaskapelle einzuordnen, die am Standort Deutschland sonst partout keinen „Sinn machen“, um eine Floskel des scheidenden Kanzlers aufzugreifen, die auch mancher in der Union gern im Munde führt. Früher wurde in C-Parteien zu Recht kein Sinn „gemacht“. Sinn „ergibt sich“, er ist in der Schöpfung schon enthalten.

Wer schreibt ein solches Programm? Sprechblasenpolitiker wie Markus Söder, gewiss. Aber ist das Entschuldigung genug dafür, dass Außenpolitik nur noch im Rahmen eines Antiterrorkriegs stattfindet, dass sich das Christentum Europas in der Ausgrenzung der Türkei erschöpft, während Europa nicht mehr wie noch in der Ära Kohl als klassisch christlich-soziales Projekt auf dem Weg zur einen Welt erscheint, sondern nur noch verzerrt als bürokratisches Monster? Wo sind Politiker wie Annette Schavan oder Christoph Böhr, während andere solche Regierungsprogramme schreiben? Wohl im Urlaub. Oder, wie Klaus Töpfer, in Afrika, weshalb man internationale Soziale Marktwirtschaft, soziale Globalisierung, Ökologie und die menschliche Stadtplanung von Metropolen besser in anderen Texten sucht, etwa denen der „Initiative Christdemokratie“ in der Österreichischen Volkspartei.

Aber Achtung! Es gibt bisweilen intervenierende Variablen im Wahlkampf: Dass die Flut 2002 plötzlich Solidarität und Ökologie zum Leitmotiv machte, überraschte die Union – wiewohl interessenübergreifende Solidarität und Schöpfungsbewahrung Eigenmarken der Christdemokraten sein müssten.

Weder Flut noch Krieg sind heuer in Sicht, wohl aber der Papst und die Pilger. Was kann das einer Union ausmachen, die das C im Namen trägt? Viel! Und eben das rein ökonomische Weltbild, das sie zum Programm und damit zur Skizze einer Gesellschaft gemacht hat, wird einen Monat vor der Wahl armselig wirken.

Aber selbst wenn der Mensch vom Brot allein leben könnte, die Union hat das Backen verlernt: Soziale Marktwirtschaft bedeutet nämlich nicht, dass man Kapitaleigner bittet, dem Staat auch ein paar Groschen für Suppenküchen übrig zu lassen, selbst wenn der Bundespräsident schon die Schöpfkelle in die Hand nahm. Soziale Marktwirtschaft bedeutet, dass Unternehmen hierzulande in einer von allen akzeptierten Gesellschaftsordnung wirtschaften können. Der Wert dieser Unternehmen misst sich dann nicht nur an der Dividende, sondern auch an ihrer sozialen Tauglichkeit. Das bedeutet also mehr als finanzielles Schulterklopfen für Opernfestivals, es bedeutet, Arbeitern und Angestellten eine würdige Stellung im Wirtschaftsleben zu sichern. Nur auf dieser Leistung könnte die Akzeptanz von wachsender Ungleichheit beruhen, die Unternehmern wie Vermögenden kalkulierbare Sicherheit ihres Eigentums und ihrer Existenz verliehe.

Kein Mensch will in einem Wirtschafts-system leben, es reicht völlig, darin zu arbeiten

Benedikt XVI., der Homme de lettres auf dem Stuhl Petri, hat auf dem Weg zum Weltjugendtag Glaube, Liebe und Hoffnung und somit weit mehr im Gepäck als die kirchliche Soziallehre mit ihrem „Prinzip des Vorrangs der Arbeit vor dem Kapital“ (Enzyklika „Laborem exercens“, 1981). Und erst recht hat er in Köln einen weiteren, globalen Adressatenkreis vor Augen. Und dennoch: Die Reform der UN, die Existenzkrise der EU, die psychische Deformation von Selbstmordattentätern, Biopiraterie am Amazonas, die unwürdige Existenz von Alten und Pflegebedürftigen bei gleichzeitiger Verunmöglichung familiären Lebens im Turbokapitalismus, die Korruption der Managerkaste, rauschhafter Konsumismus, die nichtnachhaltige Energiepolitik – das alles sind Themen, die Christen bewegen, die der Heilige Stuhl und engagierte Laienorganisationen thematisieren, die unorthodoxe Linke von Pasolini über Geißler bis Pollesch umtrieben – aber nicht die CDU/CSU, auch nicht, bevor sie sich den inhaltlichen Zwängen des Wahlkampfs unterordnen musste.

Wenn die deutschen Christdemokraten Glück haben, wird Benedikt in Köln nicht explizit politisch predigen. Soziallehre war in den Jahrzehnten vor dem Pontifikat ohnehin nicht Ratzingers Ding. Aber auch die Fragen und Diskussionen der hunderttausenden Besucher machen den Weltjugendtag aus. Ist es schließlich fair, den Mann Gottes mit den gestressten Frauen und Männern der deutschen Politik zu vergleichen? Nun, für den aufgeschlossenen Wähler finden die Auftritte, Predigten, Gesten des Papstes auf demselben Bildschirm statt wie die Bemühungen der Wahlkämpfer in Deutschland. Insofern ist die Erde eben doch eine Scheibe.

Würde am Ende des Weltjugendtags ein unbestechliches Textanalyse-System die Aussagen des Papstes samt der Gedanken seiner Zuhörer scannen und auf Kongruenz mit den in Umlauf befindlichen deutschen Wahlkampfaussagen überprüfen, womöglich wäre die Linkspartei der Sieger. Bizarr, wenn auch für den Jesuiten Lafontaine nicht wirklich überraschend. Aber das braucht die C-Partei in ihrer geistigen Leere nicht zu kümmern. Wie es einer liberalen Partei ja vollauf genügt, hat sie den Segen des BDI schon erhalten. Für alle anderen Menschen guten Willens hat die entscheidende Wahl am 19. April stattgefunden. MARKUS SCHUBERT