Rückkehr der Nörgler

REGIONALLIGA Nach dem Triumph im DFB-Pokal kehrt für die Fußballer des TSV Havelse wieder der graue Alltag ein: Gegen Meppen reicht es nur zu einem 1:1. Und auch der DFB-Pokal stellt den Club vor Probleme

Die Flutlichtanlage des TSV ist zu schwach, um das Fernsehen glücklich zu machen

Als Chefcoach des TSV Havelse ist André Breitenreiter an der Seitenlinie so manches gewohnt. Bei dem kleinen Klub im hannoverschen Vorort Garbsen weht der Duft frischer Bratwurst über seinen Arbeitsplatz hinweg direkt auf das Spielfeld. Die dicht an der Außenlinie postierten Zuschauer erleben hier Regionalliga-Fußball zum Anfassen.

Gerade einmal 319 Zuschauer wollten am Samstag jenes Erfolgsteam sehen, das in der Vorwoche noch bei ausverkauftem Haus vor 3.500 Zuschauern einen 3:2-Triumph in der 1. Runde des DFB-Pokals gegen den Erstligisten 1. FC Nürnberg gefeiert hatte. „Diese Unterstützung ist eine Katastrophe. Das ist gar nichts. Ich finde das enttäuschend“, meinte der frühere Profi Breitenreiter, der sich schon während der ernüchternden Partie gegen Meppen (1:1) mit nörgeligen TSV-Fans angelegt hatte.

Die Rückkehr in die Normalität fiel allen Beteiligten schwer. Die erschöpften Spieler des TSV Havelse mühten sich nach einer Woche des Glücks zu einem Remis. „Nürnberg, das war geil. Aber unser Geschäft ist der Liga-Alltag“, sagt Mittelfeldspieler Marc Vucinovic, der die große Pokal-Sause mit seinem Siegtreffer möglich gemacht hatte.

Die Havelser Spieler sind Feierabend-Fußballer und haben mit dem Aufstieg in die Regionalliga bereits Erstaunliches geschafft. Und Vucinovic, angehender Bürokaufmann bei der Deutschen Messe AG, macht kein Geheimnis daraus, dass er bei anderen Vereinen mehr Geld verdienen könnte. „Aber wir wollen hier so hoch wie möglich spielen. Und wir können uns immer in einen Rausch spielen“, findet der 23-Jährige.

Weil das gegen Meppen nicht geklappt hat, meldeten sich prompt die Nörgler und Besserwisser unter den 319 zahlenden Gästen zu Wort. „Ach, und am Sonntag war noch alles in Ordnung?“, hatte TSV-Trainer Breitenreiter während des Spiels zurückgeraunzt und so für Ruhe auf den Rängen gesorgt.

Mit den Höhen und Tiefen des ambitionierten Fußballs kennen sie sich in Havelse bestens aus. In der Saison 1990/91 hatte es der Turn- und Sportverein von 1912 bis in die 2. Bundesliga geschafft. Danach ging es finanziell und sportlich steil bergab – bis in die Landesliga. Der TSV musste zwei Tennisplätze verkaufen, auf denen heute ein Supermarkt beheimatet ist, um sich entschulden zu können.

„Wir sammeln hier im Schatten von Hannover 96 die Brotkrümel auf. Und der sportliche Erfolg rennt dem Verein im Moment davon“, findet Manager Stefan Pralle, der im richtigen Leben ein Logistik-Unternehmen leitet und mithilfe von vier Stunden ehrenamtlicher Arbeit pro Tag für Ordnung beim TSV sorgt.

Über den Pokalsieg gegen die Nürnberger, der mehr als 300.000 Euro in die Vereinskasse gespült hat, kann sich Pralle mit Blick auf den schmalen Havelser Saisonetat von 350.000 Euro natürlich freuen. Aber der frische Ruhm macht auch die Sünden der Vergangenheit sichtbar. Die 2. Runde im DFB-Pokal wird während der Woche am 30. und 31. Oktober ausgetragen. Bei Abendspielen kann der kleine Verein von der Hannoverschen Straße aber die hohen Auflagen des Deutschen Fußballbundes nicht erfüllen. Die Flutlichtanlage des TSV ist zu schwach, um das Fernsehen glücklich zu machen.

Manager Pralle wird jetzt durchrechnen müssen, ob das nächste Pokalspiel gegen den Zweitligisten VfL Bochum im 96-Stadion in Hannover ausgetragen und damit eher zum Verlustgeschäft wird. Oder er findet im Jubiläumsjahr seines Klubs pfiffige Handwerker, die bei überschaubaren Kosten für so viel Lux in Havelse sorgen, dass doch im engen und maroden Wilhelm-Langrehr-Stadion gespielt werden darf.  CHRISTIAN OTTO