Kritik der Woche
: Schick: Al Jarreau in Wolfsburg

„Hello Autostadt – I want a Lamborghini in the morning.“ So begrüßte der inzwischen 65-Jährige Crossover-Altmeister und fünffache Grammy-Gewinner Al Jarreau am Wochenende die Jazzbegeisterten in der Wolfsburger Autostadt beim Vierten Blues- und Jazzfestival. Im Westen leuchten die VW-Fabrikanlagen. Im Osten schauen aus zwei gigantischen gläsernen Türmen auf zwanzig Etagen knapp achthundert blinkende Neuwagen auf die Besucher herab.

Die Zuhörer lachen dankbar, als Al Jarreau mit seinem Markenverdreher das Ambiente kommentiert. Denn das hat so gar nichts mit Jazz zu tun. Schick wie immer, schwarze Weste und schwarzes Wollkäppi, die Knie ein wenig gebeugt shuffelt Jarreau auf die Bühne. Dabei bewegt sich der Oberkörper wild im Kreis, die Arme und die riesigen Hände weit ausgebreitet. Al Jarreau nimmt die Bühne ein. Meistenteils vergisst man, dass da noch andere Musiker stehen. Selbst wenn die solieren – selten genug kommt das vor – ist es Jarreau, der in Bann zieht.

Jarreau ist überall auf der Bühne unterwegs: Mal zuckt sein Körper ekstatisch auf und ab, mal spricht er sein Publikum vertraulich an. Und immer erzählt er: Al Jarreau erzählt Musik, pantomimisch, nicht nur mit seiner Stimme, sondern mit dem ganzen Körper. Bei kleinen vokalen Improvisationen kann man dann das Saxophon förmlich sehen, das Jarreau nicht in Händen hält, aber dennoch spielt.

Er liefert alte Hits, Jazz-Standards und Stücke vom neuen Album „Accentuate the Positive“. „I know it is cold“, sagt Jarreau, „but I‘m trying to make it warmer.“ Allenfalls erinnert das gelegentliche Kratzen in seiner Stimme an die herbstlichen Temperaturen. Halsbrecherische Vokalakrobatik bleibt an diesem Abend leider aus, schwer zu sagen, ob auch hierfür die Kälte verantwortlich ist.

Beim Klassiker „Take Five“ lässt Jarreau ein wenig davon durchblicken. Ganz allmählich entwickelt sich das Thema aus einer rasend schnellen Scat-Improvisation. Den restlichen Abend bewegt sich die Kunst des Meisters aber eher im Bereich des Bekömmlichen. Alles in allem wirkt das ein wenig zu harmlos.

Bleiben die Sensationen auch aus, Jarreau bietet technisch brillanten und hoch anspruchsvollen Jazz. Und das Charisma des alten Mannes erledigt den Rest. Für achtzig Minuten vergisst man sogar die sterile Atmosphäre des Areals. Nach zwei Zugaben kann Jarreau nicht nur zufrieden feststellen: „Now I‘m hot“. Sondern auch die Sache mit dem Lamborghini ist wieder im Lot als er sich verabschiedet „Autostadt – gimme a Volkswagen!“ Denis Bühler