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: Erdrutschsieg für Hongkonger Demokratiebewegung

Nach den Kommunalwahlen stellt das prodemokratische Lager künftig 17 von 18 Bezirksräten. Für die kommunistische Führung in Peking ist das Wahlergebnis eine Schmach

Das Neue

Bei den Kommunalwahlen in Hongkong hat die Protestbewegung ihren erhofften Erdrutschsieg errungen: Das prodemokratische Lager stellt künftig 17 von 18 Bezirksräten und knapp 90 Prozent der Sitze. Damit hat es seinen Stimmenanteil nahezu verdreifacht. Die pekingloyalen Kräfte hingegen mussten eine herbe Niederlage einstecken: Sie haben praktisch alle Bezirksratsposten verloren.

Noch nie zuvor gaben derart viele Einwohner der Sonderverwaltungszone bei Wahlen ihre Stimme ab. Die Beteiligung lag mit 71 Prozent auf Rekordniveau.

Der Kontext

Unter normalen Umständen wäre die Kommunalwahl ausschließlich von lokaler Bedeutung, schließlich bestimmen die Räte vor allem über Parkanlagen, Müllentsorgung und Wohnbauprojekte. Sie können keine Gesetze verabschieden und spielen bei der Wahl des nächsten Regierungschefs nur eine untergeordnete Rolle. Doch inmitten der seit fast sechs Monaten anhaltenden Proteste haben die Aktivisten den Urnengang zum Referendum erhoben.

„Es ist eine Wahl zwischen unseren fünf Forderungen und einem demokratischen System – oder aber man unterstützt die Verwaltungschefin Carrie Lam und die Polizei“, meint Jimmy Sham, Kandidat des prodemokratischen Lagers. Die Protestbewegung hat seit Beginn des Konflikts fünf Forderungen gestellt, an denen sie noch immer festhält – darunter freie Wahlen und eine gerichtliche Untersuchung der Polizeigewalt gegen Demonstranten. Die derzeit amtierende Verwaltungschefin Carrie Lam ist in den Augen der Aktivisten eine Marionette Pekings.

Die Reaktionen

Für die Kommunistische Partei in Peking ist das Wahlergebnis eine Schmach. China betrachtet die Demonstranten schließlich vor allem als „Randalierer“, die von ausländischen Kräften angestachelt und finanziert werden. Die Regierung sah sich zu einer Stellungnahme genötigt: „Was auch immer für Dinge in Hongkong geschehen, Hongkong ist Teil des chinesischen Territoriums“, stellte der Pekinger Außenamtssprecher Wang Yi klar. „Jegliche Versuche, Hongkong zu zerstören oder Hongkongs Stabilität und Entwicklung zu schaden, können keinen Erfolg haben.“

Die Konsequenz

Verwaltungschefin Carrie Lam steht nun zunehmend unter Druck, den Forderungen der Demokratiebewegung entgegenzukommen. Laut aktuellen Umfragen macht das Gros aller Hongkonger ihre inkompetente Führung für die eskalierende Gewalt zwischen Aktivisten und Sicherheitskräften verantwortlich.

Das Wahlergebnis bietet die rare Chance, den seit sechs Monaten andauernden Konflikt politisch zu lösen – wenn Regierungschefin Lam den Kompromiss mit dem prodemokratischen Lager sucht. Sollte sie jedoch einen Kurs der sturen Ignoranz fortführen, dann würde sich die Protestbewegung ermutigt fühlen, mit dem Stimmenmandat der Bevölkerung ihre Anliegen erneut vehement auf den Straßen der Stadt einzu­fordern. Fabian Kretschmer, Peking

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