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: HELMUT HÖGE über die neue „Linkspartei“

Was sich dabei die Rechten alles so zurechtdenken

Es grummelt in der Stadt. Ich rede nicht davon, dass man dank Harald Schmidt angeblich wieder das Wort „Unterschicht“ öffentlich benutzen darf, ohne gleich als ewiggestriger Terrorist abgetan zu werden. Ich rede von der „Straße“, wo wildfremde Freunde einen plötzlich anhauen, was man von der PDS-WASG-Fusion hält. Ein Kreativteam plant eine tägliche Kolumne darüber, ein anderes Kleinkollektiv einen Fortsetzungsroman. Auch Wladimir Kaminer wird laufend um Beiträge gebeten. Er lehnt alle ab – mit der Begründung: „Je weniger die Politik mit dem Leben zu tun hat, desto mehr findet sie in den Medien statt.“

In der Tat hat das Ganze mit seinen Hoch- und Runterrechnungen etwas von einem schmierigen Sommertheater, auf das die Titanic bereits mit ihrem August-Titelbild anspielte: Es zeigt müde Sonnenbadende am See und darüber die Schlagzeile „Deutschland im Wahlfieber“. Damit nehmen sie allerdings doch teil an diesem „Spektakels“ (Guy Debord), das eigentlich nur vom Kapital-Info FAZ wirklich ernst genommen wird. Dort gibt es eine regelrechte Taskforce, die den CDU-Sieg leitet (auch für die CDU), sowie eine Schwachstellen-Findungskommission gegen die „Gegner“ – mit einer eigenen Trüffelsau namens Edo Reents, den die FAZ neulich auf den PDS-Umbenennungs-Parteitag im Berliner Congress Centrum (BCC) am Alexanderplatz schickte.

Um die Anti-68er-These „Links gleich Rechts“ zu stützen, konzentrierte der sich dann – ebenso wie das Tagesthemen-, das SFB- und das Spreekanal-TV-Team – auf einen anonymen männlichen Gast „mit überstülpter Oberlippe“, der zweimal beim Absingen der Internationale die rechte Faust reckte. Diesen baute der FAZ-Schreiber dann in seinem sogleich mit einem großen Foto des Mannes versehenen Artikel zu einem linken Wiedergänger des einst bei den rechten „Ausschreitungen“ in Rostock-Lichtenhagen in das Scheinwerferlicht der Medien geratenen Besoffenen aus, der dort 1992 mit vollgepisster Trainingshose und Hitlergruß die Hatz auf die Vietnamesen gutgeheißen hatte.

Im Berliner BCC hielt der namenlose Mitläufer nun ebenfalls gestisch – mit „einer Mischung aus Becker-Faust und Ernst-Thälmann-Agitation“ – die Parteitagsbeschlüsse für gut. „Hier ist jemand von Herzen froh über die Aussicht, dass es denen, die noch etwas haben, nun ernsthaft an den Kragen oder ans Portemonnaie geht“, bemerkt dazu der FAZ-Autor in seinem Artikel unter der hetzerischen Überschrift „Jetzt kommt der Proletarier-Terror“. Denn für ihn steht angesichts dieser „ekelhaft-faszinierenden Einlage“ – gemeint ist damit der „ruckartige, zweimalige“ Ernst-Thälmann-Gruß des Mannes, mit dem „nicht zu spaßen ist“ – fest: „Die innere Situation ist sehr gefährlich.“

Das hatte man dem Autor bereits im FAZ-Hauptquartier eingebläut. Er beruft sich dabei auf keinen Geringeren als Thomas Mann, der dies wörtlich während der November-Revolution 1918 angesichts der Arbeiter- und Matrosenaufstände in Lübeck schrieb, wobei er gleichzeitig festhielt, was er im Falle einer Plünderung seines und anderer Bürger Häuser durch die aufgebrachten revolutionären Massen diesen entgegenhalten würde: Hier habt ihr 200 Mark, „ich schenke sie euch“, aber „macht mir dafür meine Sachen und Bücher nicht entzwei“, die ich mir mit ehrlicher „geistiger Arbeit verdient“ habe. Edo Reents fährt sodann mit eigenen Worten fort: „Es blieb [damals] in der Villa alles heil. Diesmal sollte [allerdings] die besitzende Klasse nicht [so] hoch wetten, daß sie ungeschoren davonkommt.“

Haste Töne?! Der FAZ-Giftschleuder Edo Reents, die vom Unterschied zwischen sozialen Kämpfen und Wahlkämpfen keine Ahnung hat, dafür aber angeblich zwei Tage lang hinter dem „Gedrungen-Alfred-Hrdlickahaften-Lederwesten“-Träger vergeblich herrecherchierte – obwohl diese „kurios-peinliche Type“ sogar im „Genossenmilieu unter Beobachtung stand“ –, kann jedoch auf die Sprünge geholfen werden: Bei dem „fröhlich-verbissenen PDS-Parteitagsbesucher und faustreckenden Internationalemitsinger handelt es sich um meinen alten Freund Udo Frisch aus Pankow, der bei einer westdeutschen Speditionsfirma als Fahrer arbeitet und sich selbst einen „Mautpreller“ nennt, wohingegen seine geschiedene Frau Erika ihn als „Mietnomaden“ bezeichnet. Als dieser und als jener ist er autonomer Teil einer wachsenden Widerstandsgruppe, die sich auf „partisanische Art“ (Michel de Certeau) im Dschungel der Großstadt zu behaupten versucht. „Auf dem PDS-Parteitag war ich nur meiner Freundin Angelika zuliebe“, wie er mir gestand, bevor er wieder mit seinem 20-Tonner nach Athen abdüste.