Schulz ohne Grund im Recht

Wo Schulz draufsteht, ist offenbar nicht immer Schulz drin. In dem Berliner Wahlkreis Pankow gibt es Unmut über das Demokratieverständnis des Grünen-Bundestagsabgeordneten und Grundrechtfans

VON PLUTONIA PLARRE

Heute hat Werner Schulz seinen großen Tag. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Klage des Grünen-Bundestagsabgeordneten gegen die vorgezogenen Neuwahlen am 18. September. Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird: Dem Mann mit den schlohweißen Haaren ist schon jetzt ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher. Nach der aufsehenerregenden Rede am 1. Juli, in der Bundeskanzler Schröder die fingierte Vertrauensfrage stellte, hatte Schulz mit wutbebender Stimme von einem Vorgang wie in der Volkskammer der DDR gesprochen. „Mir ist die Demokratie nicht geschenkt worden“, empörte sich der Ex-DDR-Bürgerrechtler über das inszenierte Theater im bundesdeutschen Parlament. „Schon deswegen sind mir die Grundregeln der Demokratie, wie sie in unserem Grundgesetz stehen, ein hoher Wert.“

Was seinen eigenen grünen Kreisverband Pankow betrifft, scheint es der Grünen-Volksvertreter mit der Einhaltung der demokratischen Spielregeln allerdings nicht so genau zu nehmen. Heute Abend soll er von der Mitgliederversammlung zum Direktkandidaten des Wahlkreises 77 gekürt werden. Die rund 1.000 Wahlkampfplakate mit seinem Konterfei sind allerdings schon längst gedruckt und warten auf Auslieferung. „Nach außen spielt er den demokratischen Saubermann. Intern kümmert er sich nicht um die Einhaltung der demokratischen Formalien“, wird Schulz von dem Pankower Kreisverbandsmitglied Ulrich Metzger vorgeworfen. Schulz habe den Kreisverband „zu seiner privaten Volkskammer ausgebaut“. Eine inhaltliche Debatte über die Kandidatur habe bisher nicht stattgefunden, geschweige denn eine Diskussion über die Ausrichtung des Wahlkampfes. So kritisiert ein anderes Mitglied, das seinen Namen nicht nennen möchte, weil es den Konflikt lieber parteiintern austragen möchte. „Den Anspruch, den Schulz nach außen trägt, lebt er nach innen nicht.“

Schulz selbst weilte gestern in Karlsruhe, um seinen Auftritt vor dem Bundesverfassungsgericht vorzubereiten. Für eine Stellungnahme war er nicht zu erreichen. Der Pankower Kreisvorstand stellte sich jedoch in aller Deutlichkeit hinter den Kandidaten. „Der Vorstand hat Schulz nominiert. Es gibt ein klares Votum der Mitgliederversammlung und keinen Gegenkandidaten. Alles andere sind organisatorische Fragen“, begründet der Kreisvorstand Cornelius Bechtler das Prozedere.

Der grüne Kreisverband Pankow ist mit über 400 Mitgliedern einer der größten Berlins und vertritt in puncto Hartz IV eine klar ablehnende Haltung. Der Kritiker Metzger vertrete eine Einzelmeinung, die nicht die Stimmung des Verbandes widerspiegele, sagt die Landesvorsitzende der Grünen, Almuth Tharan, ebenfalls Mitglied im Kreisvorstand Pankow. Sie weist seine Kritik als „nicht stichhaltig“ zurück. Richtig sei, dass Schulz selbst sich erst nach seiner Rede am 1. Juli im Bundestag entschieden habe, in Pankow als Direktkandidat antreten zu wollen. Danach habe der Vorstand beschlossen, die Plakate drucken zu lassen. Bereits im Juni habe sich der Kreisverband ausdrücklich für eine Kandidatur von Schulz ausgesprochen.

Fakt bleibt dennoch: Die reguläre Nominierung von Schulz erfolgt erst heute Abend. „Wer hat uns denn in diese Situation gebracht“, hält Vorstandsmitglied Bechtler Kritikern wie Metzger vor und gibt die Antwort gleich selbst: „Wenn die Demokratie darunter leidet, dann liegt es an Schröder.“ Ulrich Metzger will diese Erklärung so nicht akzeptieren. Vor dem Hintergrund von Schulz’ Verhalten bei der Vertrauensfrage hätte dieser die Reihenfolge auf jeden Fall einhalten müssen: „Erst die demokratische Legitimierung. Dann die Plakate drucken“, fordert er.