BERNHARD PÖTTER über KINDER
: Imageberater für Schwarz-Gelb

Wespen sind lästig, sie stechen und sterben daran nicht mal aus Reue. Doch sie können auch anders, wir nicht

Vor allem den Lateinunterricht vertrugen die Wespen schlecht. Sollte sich ein schwarzgelber Eindringling in die Klasse wagen, während wir über „quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant“ brüteten, war er fällig. Mein Freund Attila, kein großer Lateiner, aber ein großer Kleinwildjäger, zerquetschte sie alle mit dem „Bornemann“. Wozu Lateinbücher alles gut sind.

Draußen im Tiergarten brummten Millionen von Wespen. Drinnen warteten 34 Schüler auf eine Abwechslung von der a-Deklination. Ich kann mich nicht erinnern, dass mal einer der Schüler gestochen wurde. Und die Verbindung unseres furchtlosen Wespenkillers mit seinem Vornamen fiel mir auch erst später auf.

Keine Tierart bräuchte dringender einen Imageberater als die Wespe. Auch im Bio-Unterricht stand nicht die Rehabilitierung der Wespe auf dem Stundenplan. Allzu klar war, dass dieses Tier nun wirklich überflüssig war: Es störte beim Picknick, es konnte stechen, so dass es richtig wehtat (und starb daran nicht einmal aus Reue), und es stellte nicht mal Honig fürs Frühstück her.

Auch im Religionsunterricht fragten wir nicht, was sich der liebe Gott denn wohl so gedacht hatte, als er die Wespe schuf. Die Wespen waren einfach da, eine latente Bedrohung und willkommene Abwechslung. Vielleicht lag es daran, dass ich zu Zeiten von Helmut Kohl in die Schule ging – die schwarz-gelbe Gefahr durfte damals eben nicht angesprochen werden. Heute frage ich mich: Gibt es nicht ein rot-grünes Insekt, dem man Hartz IV anlasten könnte?

Selbstverständlich litten wir damals an Anthropozentrismus. Welches Recht hat der Mensch, darüber zu bestimmen, wer lebt und wer nicht? Die Wespen versauen einem das Naturerlebnis, sie können einem wehtun und sie produzieren nichts Sinnvolles? Genau das tut die Gattung Mensch aus Sicht der anderen Geschöpfe ja auch. Und wir belassen es nicht bei einem Stich, den man mit Eis und Salbe behandelt. Wir roden gleich den ganzen Wald.

„Es gibt mindestens zwei Gründe, eine andere Art nicht auszurotten“, sagt mein Freund Franz, der Biologie studiert hat, als wir auf der Terrasse sitzen und die Wespen von unseren Kindern wegwedeln. „Erstens haben wir kein Recht, uns als Herren der Welt aufzuführen.“ Der heilige Franz zieht seiner zweijährigen Tochter Maja den Pflaumenkuchen weg, auf dem eine dicke Wespe thront. „Und wer weiß denn, ob die Wespen nicht irgendwas produzieren, was die Pharmaindustrie mal dringend brauchen wird?“ „Du meinst hochwirksame Gifte, die Allergien auslösen?“, frage ich und scheuche in letzter Sekunde eine Schwarzgelbe von Tinas Nacken.

Seit wir Kinder haben, schwenke ich langsam von Franz’ ganzheitlicher Öko-Position auf Attilas altbewährte Kalte-Kriegs-Stellung ein. Ich weiß ja, dass die Tiere wichtig sind für das ökologische Gleichgewicht. Und von 700 heimischen Wespenarten benehmen sich 698 wie ordentliche Bürger und nur 2 Arten stechen. Aber warum treiben sich bei uns immer nur genau diese zwei Arten herum?

Inzwischen wimmelt ein gutes Dutzend der gefräßigen Insekten um unsere Kinder. Da gellt schon der erste Schrei: Jonas hat einen Stich in die Hand abbekommen. Ich renne ins Haus, um Salbe zu holen. Plötzlich fährt ein jäher Schmerz in meinen Fuß: Eine Wespe muss auf dem Boden gesessen haben. Maja und Tina schreien jetzt hysterisch und schütteln die Köpfe, weil die Wespen ihnen auf der Nase herumtanzen. Das Kommando „Still sitzen!“ bleibt folgenlos. Jetzt plärrt auch noch Baby Stan los, weil alle schreien. Gleich wird die Alarmanlage beim Nachbarn anspringen.

Über dem Chaos hört man nur noch Franz’ gewaltige Stimme, der nun doch Angst hat, seine geliebten Tiere könnten in ihrer Aufregung unseren geliebten Kindern in die Münder fliegen: „Achtung, die Wespen! Mund zu! Mund zu!“ Stille. Bsssssssssssssssssss. Himmlische Ruhe. Bsssssssssssssssssss. Weg sind die Wespen. Schweigen. Sage noch einer, Wespen hätten keinen praktischen Nutzen.

Fotohinweis: BERNHARD PÖTTER KINDER Beratungsbedarf? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN