Chinas Bergwerke sind Todesfallen

80 Prozent aller tödlichen Bergwerksunfälle ereignen sich in China. Peking bekommt das Problem nicht in den Griff

PEKING taz ■ Die Kette der Bergwerkskatastrophen in China reißt nicht ab. Während in der südchinesischen Provinz Guangdong gestern noch verzweifelt versucht wurde, über hundert vom Wasser in großer Tiefe eingeschlossene Kumpel zu retten, folgte schon die nächste Schreckensmeldung: 14 Bergleute starben gestern früh in einer Kohlemine in der Provinz Guizhou, als gefährliche Gase explodierten.

Auch für die 102 Männer, die seit einem Wassereinbruch am Sonntagmittag in der Daxing-Kohlemine 420 Meter unter der Erde gefangen sind, schwand gestern die Hoffnung. Der Wasserpegel im Schacht stieg stündlich um einen halben Meter, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Staats- und Parteichef Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao forderten die örtlichen Behörden auf, „keine Mühe zu scheuen“, um die Kumpel zu retten. „Hohe Funktionäre, die für Arbeitssicherheit und die Verwaltung der Kohlebergwerke zuständig sind“, seien auf dem Weg nach Guangdong, hieß es. Alle Kohlegruben im Umkreis der Daxing-Mine wurden angewiesen, die Arbeit sofort einzustellen. Die Unglücksursache werde noch untersucht.

Chinas Minen sind die gefährlichsten der Welt. Sie sind für 80 Prozent der Bergwerkstoten weltweit verantwortlich. Offizielle Statistiken sprachen 2004 von über 6.000 tödlich verunglückten Bergleuten. Im ersten Halbjahr 2005 waren es bereits über 2.700. Die Dunkelziffer liegt zweifellos höher: Nicht selten vertuschen Minenbetreiber und lokale Regierungen das Ausmaß der Unfälle, um der Bestrafung zu entgehen. Mittlerweile kommen solche Skandale ab und zu ans Tageslicht – weil die Angehörigen nicht mehr schweigen und Nachrichten von Protesten sich durch Handys und Internet verbreiten, auch wenn nichts in den lokalen Medien erscheint.

In den vergangenen Jahren hat Peking zwar zehntausende unsichere Kohlebergwerke geschlossen und neue Sicherheitsvorschriften erlassen. Doch die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Nachfrage nach Kohle gewaltig: Sie liefert über 70 Prozent der Energie des Landes, wird in Kraftwerken, Fabriken und vielerorts zum Heizen und Kochen gebraucht.

Der Druck auf Provinzfunktionäre, die Förderung zu steigern, ist hoch. Viele drücken daher die Augen zu, wenn die Arbeit in gefährlichen und offiziell geschlossenen Gruben weitergeht. So auch in Guizhou: Die Unglücksmine mit einer jährlichen Kapazität von 30.000 Tonnen hatte „nicht die vorgeschriebenen Sicherheitskontrollen passiert“, wie Xinhua meldete, „aber alle anderen nötigen Lizenzen.“

JUTTA LIETSCH

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