Ein Vertrag zerbröselt

Die Forderungen der USA und der EU an Iran widersprechen dem Atomwaffensperrvertrag. Der Konflikt um das iranische Atomprogramm könnte der letzte Sargnagel für das Abkommen werden

GENF taz ■ Es ist gut möglich, dass Historiker den aktuellen Konflikt um das iranische Atomprogramm einmal als letzten Sargnagel für den Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (Nonproliferation Treaty, NPT) einstufen werden. Der häufig auch als „Atomwaffensperrvertrag“ bezeichnete NPT kam im Jahre 1970 nur zu Stande durch ein schon damals höchst umstrittenes politisches Tauschgeschäft: Die fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates – USA, Sowjetunion,China, Frankreich und Großbritannien – wurden offiziell als die einzig legitimen Atomwaffenmächte anerkannt und verpflichteten sich zur Abrüstung ihrer Arsenale (NPT, Art. 6); im Gegenzug verzichtete der „Rest der Welt“ auf die Anschaffung atomarer Massenvernichtungswaffen, erhielt aber das uneingeschränkte Recht zur Nutzung aller verfügbaren Technologien für die Gewinnung atomarer Energie in Anlagen, die von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) kontrolliert werden.

Dieses politische Tauschgeschäft von 1970 hängt inzwischen nur noch an einem seidenen Faden. Aus vier Gründen:

1) Mangelnde Vertragserfüllung oder offene Verstöße durch manche der inzwischen 188 NPT-Unterzeichnerstaaten:

– Statt ihre Abrüstungsverpflichtungen zu erfüllen, halten die fünf A-Waffen-Mächte in ihren Militärstrategien weiterhin an diesen Massenvernichtungswaffen fest. Die USA entwickeln darüber hinaus neue atomare Waffen und drohen anderen Staaten offen mit dem „vorbeugenden“ Ersteinsatz.

– Iran und andere Staaten haben zeitweise Atomanlagen betrieben, ohne dies der IAEO zu melden. In einem Fall hat Iran ein paar Gramm Uran bis zum waffenfähigen Grad hochangereichert.

– Die „nukleare Teilhabe“ Deutschlands und anderer Nato-Staaten am Atomarsenal der USA verstößt gegen den NPT.

2) Entwicklungen in einigen Nicht-Vertragsstaaten:

– Israel sowie die beiden verfeindeten Nachbarstaaten Indien und Pakistan sind dem NPT nicht beigetreten. Alle drei sind inzwischen de facto Atomwaffenstaaten.

– Nordkorea ist 2003 aus dem NPT ausgetreten und hat im Frühjahr dieses Jahres verkündet, es verfüge über einsatzfähige Atomsprengköpfe.

3) Kriege und Kriegsdrohungen der USA gegen Länder des Südens seit Ende des Ost-West-Konflikts. Insbesondere der Irakkrieg vom Frühjahr 2003 sowie die unverhüllten Kriegsdrohungen gegen „Schurkenstaaten“ in der Nationalen Militärstrategie der USA vom September 2002 sowie in anderen Regierungsdokumenten der Bush-Administration haben in Ländern des Südens die Einschätzung gestärkt, die Anschaffung von Atomwaffen sei die beste Versicherung gegen einen Angriff der USA.

4) Die NPT-widrigen Forderungen, die die USA und die EU im aktuellen Konflikt an Iran richten. Die USA und die EU verlangen von Iran den dauerhaften Verzicht auf die Umwandlung und die Anreicherung von Uran, obwohl beide Verfahren zum Zwecke der Energiegewinnung durch den NPT erlaubt sind. Hinter dieser von Beginn an zum Scheitern verurteilten Forderung steht die von der Bush-Administration vertretene und inzwischen von der EU übernommene Behauptung, mit den Instrumenten des NPT lasse sich das iranische Atomprogramm nicht verlässlich kontrollieren und daher ein Missbrauch der Urananreicherung zur Entwicklung von Atomwaffen nicht verhindern.

Diese Behauptung Washingtons und Brüssels stellt den NPT grundsätzlich in Frage. Eine Alternative wären die von IAEO-Chef Mohammed Baradei im Januar vorgeschlagen Maßnahmen zur Stärkung des NPT: ein Zusatzprotokoll, das die Zugangs-und Kontrollmöglichkeiten der IAEO-Inspekteure verbessert, sowie eine Vereinbarung, wonach das für die atomare Energiegewinnung benötigte Spaltmaterial künftig nicht mehr in nationalen Anlagen hergestellt wird, sondern in regionalen, von der IAEO betriebenen Einrichtungen. Beide Vorschläge haben die USA abgelehnt, und die EU hat sich bislang nicht dafür engagiert. ANDREAS ZUMACH