Das Universum der Bastler

Auf drei Etagen leuchtet ein Sammelsurium kleiner Ideen. Kunstprofessor Timm Ulrichs macht mit Absolventen seiner Münsteraner Totalkunst-Klasse in der Kunsthalle Recklinghausen eine Ausstellung

AUS RECKLINGHAUSEN PETER ORTMANN

Wenn Kunstprofessoren träumen, träumen sie dann von ihren Studenten? Timm Ulrichs von der Münsteraner Kunsthochschule träumt lieber von Maschinen, die selber träumen. Er hat ein Verzeichnis aller seiner Studenten in Auftrag gegeben, erstellt mit ihnen die Ausstellung „mit offenem Ende“ in der Kunsthalle Recklinghausen und das Verzeichnis zum Katalogbuch „Wer war das!“. Nicht ohne Grund. Museumsdirektor Ferdinand Ullrich hat auch bei ihm studiert. War einer der ersten Meisterschüler (Matrikel Nummer 81) in Münster. Eine Hand wäscht die andere. In diesem Fall bleiben beide Hände sauber.

Das Ende (“The End“, 1970), die Augenlid-Tätowierung von Ulrich selbst, versperrt als Videostill am Anfang der Ausstellung den Blick auf die weiter gegebene Gedankenwelt des international bekannten Professors im Rentenalter. Wer jemals beim Rundgang in Münsters Kunsthochschule seine Klasse besucht hat, kennt den Bastelwahn seiner Studenten, der sich auch in der Kunsthalle wiederfindet. Seien es kleine Modelleisenbahn-Püppchen, die sich auf dünnen Stahlstangen wiegen (Ex-Meisterschülerin Martina Seifert, ohne Titel, 1984), die Uhr von Markus Mengeler („Stillstand“, 2002), deren Zeiger nicht wandern können, weil sie zusammen gebunden wurden. Oder der Ulrichs-Schüler-typische, mechanische Zappel-Tänzer („Tänzer III“, 1985) aus Holz und Draht von Thomas Fehige-Lutz.

Drei Etagen im ehemaligen Bunker in Recklinghausen sind mit solchen Arbeiten aus drei Jahrzehnten übersät. Immer haben sie den Ulrichs-typischen Witz, ein Lächeln ist garantiert, doch irgendwie fehlt es oft an der zeitlosen Nachhaltigkeit. Bereits Mitte der 1970er Jahre konnte der documenta-6-Teilnehmer Timm Ulrichs (65) keine Kunst mehr sehen. Diese Aussage schrieb er auf ein Schild, setzte sich eine dunkle Brille auf und geisterte mit Armbinde und Blindenstock durch die Kunstwelt. „Ich kann und mag all jene Künste nicht mehr sehen, die als nur dekorativer Schein, als Deckmantel, als Trost- und Schönheitspflaster aktuelle Wunden bemänteln, verdecken, kaschieren und allenthalben die Welt mit oberflächlichem Zeugs voll- und verstellen“, unkte der Konzeptkünstler damals. Erfand die Totalkunst, machte sich selbst zum Kunstwerk und kreierte seinen Granit-Sarg, dessen Deckel sich durch das Abbrennen von Kerzen langsam schließt. Selbst im Jenseits will Ulrichs ein Kunstwerk sein, man denke an „The End“ auf seinem Augenlid.

Seine Schüler folgen ihm willig. Arbeiten mit billigem Sperrholz, alten Pferde-Haaren und bunten Gips-Abgüssen. Auf allen drei Etagen leuchtet ein Sammelsurium kleiner Ideen der Ehemaligen und ihres Professors. Claudia Buch ist mit Ölbildern auf Aluminium-Milchdöschen vertreten. Antonia Deitmar zeigt 25 Elefanten, die sie aus ganzen Büchern geschnitten hat. Von der Ausstellung sicher in Erinnerung bleiben wird ausgerechnet eine Schenkung von Timm Ulrichs an die Kunsthalle. „schaumgeboren“ heißen die C-Prints von Ex-Meisterschülerin Birgit Hölmer, die heute in Bielefeld und Berlin lebt und gerade für die World Games 2005 eine Brunnen-Installation auf die Duisburger Plaza gestellt hat. Auf den Fotos in der Ausstellung, die aus dem Jahr 2000 stammen, ist ihr Gesicht mit einer Maske aus Schaum verdeckt. Die Mimik hat sich aufgelöst, die Augen liegen in tiefen Höhlen. Jeder Print erzeugt seinen eigenen Ausdruck.

Bis 11. September 2005Infos: 02361-501935