Zähes Ringen um den Traumjob

Für Jugendliche in NRW ist die Suche nach einer Lehrstelle eine Odyssee. Sie müssen sich durch dutzende Bewerbungen, wochenlange Praktika und Fortbildungen kämpfen. Viele gehen leer aus

Nach jeder Absage plagt die jugendlichen BewerberInnen die Frage: Liegt es an den Abiturnoten oder vielleicht an der Herkunft?

VON UTA BAIER
UND MAREN MEIßNER

Weronika Suvoniec vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Seit Stunden sitzt sie in der Dortmunder Arbeitsagentur am Computer. Die 21-Jährige kam vor einem halben Jahr aus Polen, wo sie nach ihrer Ausbildung zur Konditorin keinen Job fand. „Ich sehe hier in Deutschland eine Zukunft für mich“, sagt sie.

Dabei ist die Zukunft für viele Jugendliche im Lande unsicher: Das Ausbildungsjahr 2005 hat zwar am 1. August begonnen, aber noch immer suchen 43.470 Jugendliche unter 25 Jahren eine Ausbildungsstelle. Dem gegenüber stehen 15.660 offene Stellen. Die nicht vermittelten Jugendlichen sind oft Dauergäste in Arbeitsagenturen und Berufsinformationszentren – so wie Weronika Suvoniec.

Seit einem Monat hat sie einen befristeten Ein-Euro-Job in einem Altenheim. Ihr Traum, dort anschließend eine Ausbildung zu beginnen, wird sich frühestens nächstes Jahr erfüllen – und auch das ist nicht sicher. „In den vergangenen Jahren hat sich eine neue Tendenz erkennen lassen“, sagt Berufsberaterin Silvia Brunnstein-Götz. „Die theoretischen Anforderungen an Jugendliche werden immer höher.“ Andererseits gebe es keine Helferstellen mehr, die für praktisch begabte Jugendliche geeignet seien. „Deshalb klaffen auch oft die Anforderungen und die Fähigkeiten der Jugendlichen auseinander.“

Weronika Suvoniec gibt trotzdem nicht auf. Bis sie einen Ausbildungsplatz gefunden hat, sucht sie weiter nach Praktika. „Ich will arbeiten“, sagt sie mit fester Stimme. In sechs Monaten schrieb sie 80 Bewerbungen, wurde zwei Mal zum Vorstellungsgespräch eingeladen und bekam zehn Absagen – die restlichen Betriebe meldeten sich gar nicht erst. Lächelnd beschreibt sich Suvoniec trotzdem als „große Optimistin“. Gründe für Absagen sieht die Polin auch in ihren noch nicht perfekten Sprachkenntnissen. „Es gibt da eine Blockade“, sagt sie vorsichtig. Viele Arbeitgeber würden lieber BewerberInnen einstellen, die perfekt Deutsch sprechen.

Blockaden muss auch eine junge Mutter feststellen, die in der Bochumer Arbeitsagentur nach einem Ausbildungsplatz sucht. „In manchen Bewerbungsgesprächen haben wir 25 Minuten über meinen Sohn geredet und fünf Minuten über mich“, erzählt sie. „Ich verstehe das, finde es aber übertrieben.“ Dabei kann die 24-Jährige einige Qualifikationen vorweisen. Sie hat bereits eine Lehre zur Bürokauffrau angefangen, die sie allerdings wieder abbrechen musste, als das Unternehmen pleite ging. Außerdem hat die junge Frau Volkshochschulkurse im Programmieren, Web-Design oder HTML besucht. „Bevor ich gar nichts bekomme, wollte ich mich auf eigene Faust weiterbilden“, sagt sie. Den Mut hat sie noch nicht verloren. „Ich denke, dass ich im nächsten Jahr, wenn mein Sohn in den Kindergarten kommt, eine Ausbildung kriege“ – vielleicht sogar als Fachinformatikerin, ihrem Traumberuf.

Seinen Traumberuf hat Sezer Giray schon gefunden. Der 22-jährige Türke begann am 1. August seine Ausbildung bei einer Dortmunder Bank. Bereits seit der 12. Klasse hatte er sich um Lehrstellen in verschiedenen Berufen beworben – „beim Arbeitsamt haben sie gesagt, man müsste flexibel sein“. Trotzdem „stand die Bank immer an erster Stelle für mich“. Nach seinem Abitur hatte er noch keine Stelle gefunden. Also schrieb er sich zunächst drei Semester an der Uni Dortmund im Studiengang Wirtschaftsmathematik ein. Die Suche ging trotzdem weiter, das Studium gefiel ihm nicht. So war Sezer Giray dann auch „überglücklich“, als er von der Bank zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. In seiner neuen Rolle, in seinem gut sitzenden Anzug, scheint er sich wohl zu fühlen. Nach all den Absagen mache die Arbeit jetzt „höllisch viel Spaß“. In den Monaten vor der Zusage nagten oft Zweifel an ihm: „Man fragt sich, ob man wirklich nicht gut genug ist.“ Zudem stellte er sich bei jeder Absage aufs Neue die Frage, woran es denn liegen könne: an seinen Abiturnoten, an seiner Herkunft?

Mit dieser Frage beschäftigte sich auch Jasmin Anlauf in den letzten zwei Jahren immer wieder. Die 18-jährige Bochumerin hat seit Sommer 2003 ihren Hauptschulabschluss in der Tasche und musste danach bittere Erfahrungen sammeln: „Ich habe mehr als 150 Bewerbungen geschrieben und auf die meisten noch nicht einmal eine Absage erhalten.“ Zwischenzeitlich hatte sie sich sogar überlegt, das Bundesland zu wechseln und in Rheinland-Pfalz eine Lehre zur Konditorin zu machen. „Es hat sich dann aber doch anders ergeben, und ich bin hier in Bochum geblieben“, sagt sie.

Erst als sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, ergatterte sie im vergangenen April ein vierwöchiges Praktikum bei einem Friseur in der Bochumer Innenstadt. „Ich bin einfach mal in den Laden gegangen und habe gefragt, ob sie mich als Praktikantin einstellen würden.“ Seit dem letzten Montag ist sie nun angehende Friseurin und „heilfroh“.

Viele Jugendliche müssen erst unbezahlte Arbeit in Praktika leisten, bevor sie einen Job bekommen. „Wir nutzen das Praktikum als Einstiegsqualifizierung, um Jugendliche in eine Ausbildung einzugliedern“, so Silvia Brunnstein-Götz. Jasmin Anlauf kann so endlich wieder optimistisch in die Zukunft schauen: „Ich hoffe, dass ich die nächsten drei Jahre gut überstehe und am Ende eine Chance erhalte, übernommen zu werden.“

Übernommen werden möchte auch D. S. Doch der 19-jährige Bochumer ist sich noch nicht so sicher, ob er nach den drei Jahren Ausbildung zum Buchhändler in seiner Bochumer Buchhandlung eine Stelle findet. „Ich muss noch Zivildienst leisten. Also bin ich dann erst mal wieder ein Jahr raus aus dem Berufsleben.“

D. S. hatte vor einem Jahr sein Abitur an der Waldorfschule abgebrochen und stand nur noch mit einem Realschulabschluss da. „Ich hatte das Gefühl, mit der mittleren Reife genau so weit zu kommen wie mit dem Abitur. Dass das nicht ganz wahr ist, habe ich erst hinterher gemerkt.“ Auch er fing an, eine Bewerbung nach der anderen zu schreiben, bis es schließlich um die 30 waren. „Ich habe mir richtig viel Mühe dabei gegeben“, erzählt er, „ein eigenes Layout entworfen, nächtelang Bewerbungen gedruckt“. Trotzdem musste auch D. S. zunächst ein viermonatiges Praktikum in zwei Bochumer Buchläden und einem Verlag absolvieren, um seinem Traumjob ein Stück näher zu kommen.