Verwirrend. Avantgardistisch. Genial

Einmal im Jahr vereinigen sich die Zappatisten aller Länder. Ort des Geschehens: eine Galopprennbahn in Mecklenburg. Manchmal ist nicht ganz klar, wo die Probe aufhört und das Konzert beginnt. Doch der Geist Frank Zappas lebt. Ein Innen- und ein Außenbericht

So kann es gehen auf der Zappanale. „Ich bin jetzt seit 20 Minuten hier“, beschreibt Andreas Hildebrandt seinen ersten Eindruck von einer Galopprennbahn am Nordrand Mecklenburgs. Der 45-Jährige wippt zu einer Art Takt auf der Bühne: „Aber ich bin mir immer noch nicht sicher, ob die Band da oben erst probt oder schon spielt.“ Treffender kann man das größte, älteste, sonderbarste, beste Festival zu Ehren Frank Zappas kaum beschreiben.

Noch skurriler ist einzig der Ort: Bad Doberan, eine Kleinstadt in Ostseenähe und Sitz des einzigen eingetragenen Zappa-Fanclubs überhaupt. Hier hat der Beethoven populärer Musik also seine posthume Heimat gefunden, ausgerechnet in der tiefsten Provinz. Da kann der kakophone Soundcheck des polnischen Short Budget Orchestras schon mal nach Auftritt klingen. Dennoch – für Neuankömmlinge und Laien können die drei Tage Musik von, über und rund um Frank Vincent Zappa durchaus klingen, als stelle man Kammercellisten für 72 Stunden auf einen Truck der Loveparade.

Verwirrend eben. Komplex. Und genial. 16 Bands aus sieben Ländern – Epigonen, Gleichgesinnte, Coverer – trauen sich die Interpretation diffiziler Arrangements und filigraner Soli vor einem anspruchsvollen Publikum zu. „Schon nicht schlecht“, sächselt der 45-jährige Stone auf seiner 12. Zappanale übers Programm, „aber Guru Guru hätten die sich sparen können.“ Der Freitags-Headliner sei langweilig und unzappaesk gewesen, pflichtet ihm seine Freundin Silvi bei, „was soll der Mainstream“.

Guru Guru und Mainstream, Krautrock und massentauglich – Zappatistas leben in ihrer eigenen Welt, und die liegt Jahr für Jahr an der Ostseeküste. Angefangen hatte alles 1990, mit nur einer Band im Lkw vor einer Handvoll Besucher. Daraus sind bei der 16. Auflage pro Tag über 3000 Zuhörer und Stars wie die NDR-Bigband geworden.

Und das trotz einer Wetterlage, die jeden April in den Schatten stellt. Wolfhard Kutz, Erfinder, Herz und Hirn der Zappanale, blickt skeptisch zum Himmel. „Mehr darf‘s echt nicht regnen“, fleht der Ultra-Fan, und es zeigt sich, dass er im Sammeln von Zappa-Platten erfolgreicher ist als beim Beten. Nach dem völlig verregneten Gig 28 virtuoser Teenager der Paul Green School of Rock aus den USA am Abend zuvor öffnen sich die Schleusen am Samstagnachmittag richtig. Und wäre das Line-up nicht durch den Autounfall einer Band leicht aufgelockert, das Chaos hätte sich verselbständigt.

Egal, Zappanale-Besucher sind so zäh wie treu. Sie kommen aus vier Kontinenten, sie singen sperrige Avantgardetexte mit, als wären es Chartsstürmer, sie sind oft nicht mehr die Jüngsten, häufig ihrer alten Lederkluft entwachsen und gleichen optisch beizeiten ihrem Idol. „Darauf hatte ich keinen Einfluss“, beteuert Holger aus Hamburg und streicht seinen D‘Artagnan-Bart glatt. Es ist der gleiche, der an einer bronzenen Zappa-Büste seit drei Jahren das Zentrum Bad Doberans ziert.

Hier an der Ostsee sind Zappatisten in ihrem Element, treffen Bekannte, streifen Shirts mit Zappa-Motiven über, von denen offenbar Tausende existieren. Adrian Dugmore hat sich sein Idol sogar auf den Arm tätowieren lassen. „Es gibt um diese Zeit gar keine Alternative zur Zappanale“, meint der 40-Jährige, der eigens den weiten Weg von Wales auf sich genommen hat. Hardcore.

Sie alle nehmen nicht nur Wetter, Wege und bis zu 90 Euro Eintritt in Kauf, sondern auch ein echtes Kreativitätsdefizit. Für die langen Umbaupausen hat das Festival wenig zu bieten, keine Filmvorführungen, kaum Infos, nicht mal einen Busshuttle zum Strand. Dafür ist der Eintritt bis 16 Jahren frei. Das senkt den Altersschnitt erheblich. Andreas Hildebrandts Tochter Julia wäre aber auch so mitgekommen. „Zappa ist nicht zu kompliziert“, meint die Zwölfjährige entrüstet. Und das auf der Bühne ist noch Soundcheck. Oder doch nicht? Jan Freitag