Lokalheld versus Medienstar

taz-Serie Wahlkreisduelle (Teil 2): Seit 15 Jahren stellt die SPD den Bundestagsabgeordneten für Treptow-Köpenick. Kandidaten der PDS scheiterten immer. Das könnte sich jetzt ändern: Mit Gregor Gysi geht das Aushängeschild der Sozialisten ins Rennen

■ Die Wahlkreisduelle: Selten war der Kampf um Bundestags-Direktmandate in Berlin so spannend wie in diesem Jahr. 2002 gewann die SPD neun, die PDS zwei und die Grünen einen Wahlkreis. Es ist unwahrscheinlich, dass die Sozialdemokraten dieses Ergebnis wiederholen. Die Union hat laut Umfragen zugelegt, auch die PDS besitzt gute Chancen, zusätzliche Mandate zu gewinnen. Die taz beobachtet jede Woche ein besonders spannendes Duell

VON FELIX LEE

Eigentlich muss die Nachricht bei Siegfried Scheffler eingeschlagen haben wie ein Blitz. An jenem Freitag Anfang Juni trat ein putzfideler Gregor Gysi vor die Kameras und kündigte nicht nur seine Rückkehr in die Bundespolitik an. Der Medienstar der PDS beschloss außerdem, sich das Direktmandat von Treptow-Köpenick zu krallen. Ausgerechnet jenen Wahlkreis, in dem sich der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Scheffler so fest im Sattel glaubte – schließlich hatte er den Bezirk ein Viertel seines Lebens brav vertreten. Aber nein, geschockt habe es ihn nicht, sagt Scheffler. Viel mehr empfinde er es als „Zeichen der Anerkennung“, dass die PDS gerade ihm ihren Spitzenkandidaten aufs Auge drückt. So klingt Wahlkampfrhetorik par excellence.

Seit 15 Jahren sitzt Scheffler im Bundestag, anfangs noch als Bundestagsabgeordneter von Köpenick, nach der Zusammenlegung der Wahlkreise auch von Treptow. So könnte es noch weitere vier Jahre gehen. Wahl für Wahl wehrte der ehemalige Leiter des Köpenicker Tiefbauamtes die großen PDS-Kaliber ab. 2002 setzte sich der heute 60-Jährige gegen den im Bezirk populären PDS-Jugendstadtrat Ernst Welters durch. 1998 trieb er den Parteichef der Sozialisten, Lothar Bisky, in die Flucht nach Brandenburg – wenn auch nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von 4.118 Stimmen.

Trotzdem hat sich Scheffler in all seinen Jahren nicht zu einer prominenten Parteifigur entwickelt. Weder ist er ein Medienstar, der über seinen Abgeordnetenstatus hinaus nach etwas Höherem strebt, noch einer, der gegen Schröder oder die Parteispitze rebelliert. Eigentlich ist er das absolute Gegenteil seines Kontrahenten Gregor Gysi. Brav arbeitete Scheffler als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, brav vertritt er die Belange der Ostdeutschen als Sprecher der Landesgruppe Ost innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion.

Und doch ist er in einem Punkt dem tiefroten Schwergewicht überlegen: Ausschussarbeit und Redenschwingen im Hohen Haus sind ihm zwar wichtig. Vorrang hatte aber immer die Arbeit im Wahlkreis. Diesem Motto blieb Scheffler in seinen vielen Parlamentsjahren treu. Keine Straßenampel, bei der er seine Finger nicht im Spiel hatte, spotten Widersacher. Dafür gab es aber auch kaum eine Bürgerstunde, die er in all den Jahren verstreichen ließ. Als bodenständig wird er beschrieben. Einer, der vor Ort Ohren hat für die arbeitslose Lehrerin, für die junge Mutter, die keinen Kita-Platz bekommt, und für die Rentner-Gruppen, die er jährlich auf den von ihm veranstalteten Tagesfahrten kennen gelernt hat. Mehreren tausend Menschen hat er in den vergangenen 15 Jahren die Hände geschüttelt, sagt Scheffler. Ob die Bürger ihm auch nach dem 18. September so nahe sein wollen, ist fraglich. Denn wo Gysi antritt, da bleibt kein Sozialdemokrat mehr über.

Mit lokaler Verbundenheit kann Gysi nicht trumpfen. Zwar hat der 57-Jährige vor kurzem ein Wahlkampfbüro in der Brückenstraße im Stadtteil Schöneweide aufgemacht. Zumindest sein Wahlkampfteam weiß aber: Es ist aussichtslos, Scheffler mit seiner Lokalkompetenz zu schlagen. Dabei ist Gregor Gysi in Treptow-Köpenick lange Zeit durchaus ein Politiker zum Anfassen gewesen. In den 50er-Jahren wuchs er in der Waldstraße 37 in Johannisthal auf. An der Heinrich-Hertz-Oberschule in Adlershof absolvierte er 1966 sein Abitur. Seine Mutter lebt bis heute hier. Aber es ist nicht Gysis Vorliebe, sich mit neuen Wegweisern für die Köpenicker Altstadt zu beschäftigen. Dass ihm Arbeit auf diesem Niveau nicht liegt, hat er bereits als Wirtschaftssenator bewiesen.

Dennoch: „Gysi ist unschlagbar“, sagt zumindest Matthias Moehl vom Wahlinformationsdienstleiter www.election.de. Das war in den 90er-Jahren im Wahlkreis Marzahn schon so, wo Gysi zweimal hintereinander mit überwältigender Mehrheit das Direktmandat holte. Und auch in Treptow-Köpenick habe Gysi einen Vorsprung von derzeit fünf bis zehn Prozentpunkten, sagt Moehl.

Gysi sei zwar eine Herausforderung, gesteht Scheffler. Der Sozialdemokrat schätzt seine Chancen dennoch „fifty-fifty“. Während die Verhandlungsführer von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU) sich noch darüber stritten, ob sie es bis zum Wahlsonntag auf ein oder zwei Fernsehduelle schaffen, gelang es Scheffler vergangenen Donnerstag im Köpenicker Courtyard-Hotel, Gysi in die Zange zu nehmen. Ziemlich mau fiel die Antwort des Medienstars auf Schefflers Frage aus, was er für den Bezirk bisher geleistet habe.

Doch Scheffler tritt nicht nur gegen den Politprofi an. Er muss sich auch gegen den allgemeinen Bundestrend durchsetzen. Seit Wochen dümpeln die Sozialdemokraten in den Umfragen bundesweit bei dünnen 27 Prozent. Da nützt ihm der Trost wenig, dass sein Kontrahent von der CDU noch wesentlich weniger Chancen hat: Niels Korte, von seinen Gegnern liebevoll als „ach so, der Professor“ belächelt, weil er unter anderem auch Lehrbeauftragter für Unternehmensberatung an der Alice-Salomon-Fachhochschule ist. Korte ist ein Nobody, der es auf der Landesliste der CDU auf den aussichtslosen 9. Platz geschafft hat. Dennoch hat der 35-jährige Anwalt die Hoffnungen auf einen Sieg nicht aufgegeben – zumindest auf lange – sehr lange – Frist. In der Tat tut sich so gesehen etwas in Berlins Südosten. Korte selbst wohnt zwar noch nicht im Bezirk, aber so wie viele andere seiner Kollegen und Geschäftspartner will auch er ins Grüne hier am Stadtrand ziehen. Die wählen bürgerlich, ist sich Korte sicher.

Wie es sich für Neulinge gehört, will sich Korte über Inhalte profilieren. Um mehr Arbeitsplätze müsse es gehen, sagt er. Einen gesunden Mittelstand. Und noch mehr Ansiedlungen in Adlershof, wo er seit einigen Jahren selbst eine eigene Kanzlei betreibt, um Existenzgründern auf die Beine zu helfen. Scheffler sei verbrannt. Schließlich stehe er als SPD-Abgeordneter stellvertretend für das Versagen von sieben Jahren Rot-Grün, so Körte. Die Menschen wüssten das. Und Gysi habe in diesem Bereich überhaupt nichts vorzuweisen.

Schönefeld spielt im Wahlkampf keine Rolle

Um Arbeitsplätze und eine Gesundung der Wirtschaft wird es dem Otto-Normal-Treptow-Köpenicker bei diesen Wahlen tatsächlich gehen. Der langjährige Streit um den geplanten Ausbau Schönefelds zum Großflughafen – der sogar überregional für Schlagzeilen sorgt – rückt im Wahlkreis hingegen in den Hintergrund. Dass sich die FlughafengegnerInnen entlang der Grenze zu Brandenburg parteiübergreifend zusammengeschlossen haben, wird sich im Wahlkampf kaum bemerkbar machen. So sahen die PDS-GenossInnen es ihrem Spitzenkandidaten nach, als er sagte, dass es für den Protest gegen Schönefeld politisch eh zu spät sei – dieser Kampf würde nur noch vor Gericht ausgetragen. Und es nützt auch nichts, dass Scheffler seit Jahren – ebenfalls entgegen der offiziellen Parteilinie – den Ausbau des Flughafens in der derzeit geplanten Form kritisiert.

Doch die Wahl entscheiden wird weder Schefflers Verankerung in dem Bezirk noch der Zuzug mittelständischer Unternehmen, auf den der CDU-Kandidat so sehnsüchtig hofft. Denn in einem Punkt bleiben die Treptower und Köpenicker ihren LeidensgenossInnen im Osten treu: in ihrem Hass auf Hartz IV. Und kaum jemand kann die Kritik an der Arbeitsmarktreform so fulminant – und von einer so entspannten Position aus – formulieren wie Gregor Gysi.