Tödliche Flucht durchs Treppenhaus

Acht Migranten sterben nach Hausbrand in Moabit. Feuerwehrchef beklagt Sprachprobleme. Opfer hätten Anweisungen der Helfer nicht befolgt. CDU fordert daher, dass Migranten Deutsch lernen müssten. Wissenschaftler: Bei Panik nützt das nichts

VON PLUTONIA PLARRE

Auf den ersten Blick war es für die Feuerwehr ein Brand wie viele in Berlin. Ausgehend von im Erdgeschoss abgestellten Kinderwagen hatte sich das Feuer im Treppenhaus eines fünfstöckigen Mietshauses ausgebreitet. An sich ist die Bergung der Bewohner in so einem Fall kein Problem, wenn sich alle an die Anweisungen halten. „Die Leute hätten einfach in ihren Wohnungen warten und die Nerven behalten müssen“, sagte der Feuerwehrchef Albrecht Broemme, als er gestern den Hergang eines der schlimmsten Wohnungsbrände in der Berliner Nachkriegszeit rekonstruierte.

Bei dem Brand in der Ufnaustraße in Moabit haben in der Nacht zu Dienstag zwei Migrantenfamilien acht ihrer Angehörigen verloren, drei Erwachsene und fünf Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis 17 Jahren. In dem Haus wohnen gebürtige Griechen, Rumänen, Araber, Polen und Kosovo-Albaner. Von den sicher identifizierten Toten sind vier polnischstämmig, ein 27-jähriger ist Kosovo-Albaner. Die Identiät der übrigen Opfer ist noch nicht endgültig geklärt.

Die Feuerwehr war eigenen Angaben zufolge 6 Minuten nach Anruf vor Ort, die Löscharbeiten dauerten 20 Minuten. Als die Mannschaften in das Treppenhaus stürmten, entdeckten sie dort die ersten leblosen Personen. In Windeseile wurden an die hundert weitere Feuerwehrleute, Notärzte, Rettungswagen und ein Hubschrauber angefordert.

Es habe „zweifellos Sprachprobleme gegeben“, sagte Broemme. Anders könne er sich den tragischen Ablauf nicht erklären. Statt die Megafon-Durchsagen der Feuerwehr zu befolgen und in den Wohnungen oder auf dem Balkon auszuharren, hatten die Angehörigen der betroffenen Familien versucht, sich durch das Treppenhaus selbst in Sicherheit zu bringen. „Man hat keine Chance, durch ein brennendes Treppenhaus die Freiheit zu erreichen“, erklärte der Feuerwehrchef. Drei Atemzüge im giftigen Rauchgas bei Temperaturen von 600 bis 800 Grad „reichen aus, um den sicheren Tod hervorzurufen“.

Der CDU-Bundestagskandidat Volker Liepelt meldete sich gestern sogleich mit der Forderung zu Wort, Ausländer müssten verstärkt dazu gedrängt werden, die deutsche Sprache zu erlernen. Ob das tragische Geschehen dadurch hätte verhindert werden können, ist jedoch mehr als fraglich. „Menschen, die in Angst- und Paniksituationen handeln, können nur in ihrer Muttersprache kommunizieren“, sagte gestern der Erziehungswissenschaftler Gerd Hoff. Eine Forderung der Grünen erscheint da sinnvoller. Ihr Fraktionschef Volker Ratzmann beschränkte sich darauf, einen Einbau von Rauchmeldern in Treppenhäusern anzumahnen.

15 Menschen wurden bei dem Brand schwer verletzt, zwei schwebten gestern noch in Lebensgefahr. Als Ursache des Feuers wird vorsätzliche oder fahrlässige Brandstiftung vermutet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Vieles sei denkbar, sagte Polizeivizepräsident Gerd Neubeck. „Auch, dass jemand eine Zigarettenkippe in einen der Kinderwagen geworfen hat.“ Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der evangelische Bischof Wolfgang Huber, der Migrationsbeauftragte Günter Piening und ein Imam besuchten gestern den Ort des Geschehens. „Es deutet nichts auf einen politischen Anschlag hin“, sagte Körting.

Während Huber im Hinterhof des abgesperrten Hauses eine kleine Andacht abhielt, kursierten auf der Straße wüste Gerüchte über den Ablauf der Rettungsmaßnahmen. Man habe über eine Stunde auf dem Balkon vergeblich auf Hilfe gewartet, klagten mehrere Mieter. Sogar mit Blumentöpfen habe man von den Balkons geworfen, um auf sich aufmerksam zu machen, hieß es. Trotz der harten Anschuldigungen gegen Feuerwehr und Polizei zeigte Feuerwehrchef Broemme vollstes Verständnis: „Fünf Minuten Warten auf dem Balkon kommen einem in so einer Situation endlos vor.“