Für schöne Frauen sterben

Schlechte Manieren und die Neigung zum Sadismus: Frank Miller, ein Revisionist der amerikanischen Graphic Novel, hat seine „Sin City“-Comics als schwelgerisch maskuline Gewaltfantasie angelegt. Etwas humorlos hält sich Regisseur Robert Rodriguez bei der Verfilmung sklavisch an die Vorlage

VON ANDREAS BUSCHE

Vor zehn Jahren hätte Robert Rodriguez „Sin City“ wahrscheinlich gemalt – mit Tinte, direkt aufs Zelluloid. Selten hat ein Regisseur den Anspruch, die klassische Form der Kinematografie zu überwinden, so konsequent umgesetzt wie Rodriguez mit seiner Verfilmung von Frank Millers Hard-Boiled Comic. Rodriguez hat Millers expressionistische Zeichnungen erst zum Leben erweckt und anschließend in kinetische Bildkader zurückgegossen. Die Welt in Rodriguez’ neuestem Spielzeug ist noch weniger als monochrom: Schwarz und Weiß dominieren seine Bilder, auf weichere Grauwerte hat er konsequent verzichtet. Das Rohfilmmaterial, das für die strengen Lichtverhältnisse in Sin City nötig gewesen wäre, muss erst noch erfunden werden. Gemalt hat Rodriguez „Sin City“ schließlich am Computer; hat die Schatten getilgt, bis „Sin City“ vor ihm lag wie ein schwarzes Loch.

Schon die Eröffnungssequenz ist eine Augenweide: eine schöne Frau, ein Blick hinaus in die Nacht, eine Zigarette, ein Mann tritt von hinten heran. Die tiefroten Lippen der Frau, als sie sich ihm zuwendet, stechen aus den kontrastreichen Formen, die die nächtliche Skyline darstellen, heraus. Ein verblüffender Effekt. Sie wird nur noch einige Sekunden zu leben haben, aber diese Sekunden scheinen sich endlos in die Länge zu ziehen. Die eine Zigarette noch. Die Welt ist tough, Baby! Welcome to Sin City!

„Sin City“ ist Rodriguez’ Verbeugung vor zwei Genres, in denen Mann noch Mann sein konnte: dem Film Noir der Vierzigerjahre, in dem die Geschlechterrollen so klar verteilt waren wie danach nie wieder, und so genannten „Postwar Pulps“, speziell auf eine männliche Leserschaft zugeschnittene „Abenteuer“-Romane. Miller, ein Revisionist der amerikanischen Graphic Novel, der schon Batman ein nihilistisches Comeback als schwarzer Rächer beschert hatte, hat seine „Sin City“-Comics als schwelgerisch maskuline Gewaltfantasie angelegt. Rodriguez hält sich nicht nur in dieser Hinsicht sklavisch an die Vorlage; mit Demografie kommt man in „Sin City“ nicht weit. Die Frauen hier sind entweder tot, Huren oder Amazonen in String-Tangas. „Die Walküre an meiner Seite“, spricht während einer Schießerei einer von Millers Helden kratzig aus dem Off, „johlt und lacht mit der reinen, hasserfüllten, blutdurstigen Lust am Gemetzel, … genau wie ich.“

Im kulturellen Umfeld gepflegter, konsensfähig getrimmter Comicverfilmungen im Sommerblockbusterformat liegt „Sin City“ mit seinen schlechten Manieren und einer transgressiven Neigung zum Sadismus quer zum Mainstreamgeschmack. Millers Sin City ist die logische Fortführung seines Entwurfs von Gotham City, ein zeitloser Moloch zwischen Wildem Westen (lange Mäntel und große Knarren sind en vogue) und dem urbanen Endzeit-Szenario aus Walter Hills „The Warriors“. Drei Geschichten aus Millers Gewalt-Zyklus dienen Rodriguez als loser Leitfaden durch die Nacht; drei Männerschicksale (Mickey Rourke, Bruce Willis, Clive Owen), in denen am Rande auch Frauen vorkommen. Der Ton erinnert an miese Striptease-Bars, von denen es in „Sin City“ auch ein besonders perfides Exemplar zu bewundern gibt. Gentlemen sind sie wirklich nicht, die Helden in Rodriguez Film. Für ihre Frauen gehen sie trotzdem über Leichen. „Ist der tote Körper der kleinen Schlampe es wert, dafür zu sterben?“, fragt ein Priester (Miller in einem Cameo) während der Beichte Marv. Drei Kugeln, drei Antworten. „Wert dafür zu sterben. Wert dafür zu töten. Wert dafür durch die Hölle zu gehen. Amen.“

Marv, gespielt von einem bis zur Unkenntlichkeit verunstalteten Mickey Rourke, ist das beeindruckendste Exemplar in Millers depraviertem Figuren-Panoptikum. Ein Hüne von Psychopath, ein trauriger Elefantenmensch, dem das Leben übel mitgespielt hat. Die einzige Frau, die jemals Zuneigung für ihn empfunden hat, liegt am Morgen tot neben ihm im Bett. Sein Rachefeldzug bringt ihn auf die Spur eines kannibalistischen Killers (Elijah Wood), der sich die Schädel seiner Opfer als Trophäen ins Regal stellt. Er wird kein schönes Ende finden – das hat er mit Millers Helden gemein.

Doch Rodriguez Obsession, Millers Vorlage bis ins kleinste Detail gerecht zu werden, schnürt „Sin City“ spätestens ab der Hälfte die Luft ab. Die notorische Humorlosigkeit dieses Pulp-Universums (es ist vor allem das kehlige Lachen des Folterknechts, das aus „Sin City“ zu vernehmen ist) kann keinen Lustgewinn verschaffen. Mag das Genre Comicverfilmung mit „Sin City“ auch zu seltener formaler Reife gefunden haben, so droht die Form mit dem Inhalt auch schon wieder zu regredieren. Am Ende fallen die aufgepäppelten Comicbildchen, effektvoll von Rodriguez präpariert, wieder in ihre zweidimensionale Statik zurück. Was lebhaft in Erinnerung bleibt, sind einzig die bunten Farbtupfer, die vereinzelt über die harsche Stadtlandschaft huschen wie handkolorierte Schemen auf einer alten Schwarz-Weiß-Filmkopie.

„Sin City“, Regie: Frank Miller, Robert Rodriguez. Mit Bruce Willis, Clive Owen, Mickey Rourke, Benicio Del Toro, Elijah Wood, USA 2005, 124 Min.