VW-AFFÄRE: ES GEHT LÄNGST UM MEHR ALS KORRUPTION UND SEXSKANDALE
: Voyeurismus als Politik-Instrument

In der VW-Korruptionsaffäre ist kaum noch auseinander zu halten, worum es geht. Anhaltend wird der Eindruck erzeugt, als handele es sich zentral um einen Sexskandal, in den vor allem Betriebsräte verwickelt sind, die auf Luxusreisen auch Prostituierte besuchten. Doch faktisch ist dies nicht das Hauptthema. Ob gestern vor dem Arbeitsgericht in Braunschweig oder bei den strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft: Die eigentliche Frage lautet, ob der Skoda-Manager Schuster und sein Mitarbeiter Gebauer Tarnfirmen gegründet und Schmiergelder kassiert haben.

Diese Themenverwirrung hat ein einziger Mann verursacht: Wolfgang Kubicki, FDP-Politiker und nebenher Anwalt von Gebauer. Um von seinem Mandaten abzulenken, schafft er neue Schuldige und Verdachtsmomente. Schon wieder droht er mit geheimen Listen und Dokumenten. Gezielt nutzt Kubicki den Voyeurismus der Medien und der Leser. Sex and Crime läuft immer. Es fällt kaum auf, dass die gehässigen Manöver nur eins bedeuten können: Gebauer war tatsächlich so korrupt, dass eine redliche Verteidigung aussichtslos erscheint. Doch wäre dieses Taktieren mit möglichen Sexreisen von Betriebsräten uninteressant, ginge es nicht gleichzeitig um große Politik. Wie es dem FDP-Parteiprogramm entspricht, will Kubicki die Mitbestimmung im Betrieb erst diskreditieren und dann so weit wie möglich einschränken.

Im Weltbild der FDP stören Betriebsräte und Gewerkschaften nur. Ohne ihre frechen Lohnforderungen würden sofort Jobs entstehen, also brauchen Unternehmen erst ab 20 Mitarbeitern Betriebsräte. Gleichzeitig soll es allen Unternehmen möglich sein, die Löhne auch ohne Gewerkschaften zu verhandeln. Das hat interessante Konsequenzen für Kleinbetriebe: Wer soll dort die Löhne festlegen, ohne Betriebsräte und möglichst ohne Gewerkschaften? Etwa der Patron höchstselbst?

Dieser „Herr im Haus“-Standpunkt ist so antiquiert, dass es lustig sein könnte. Doch die Resonanz auf Kubickis VW-Taktik zeigt, wie erodiert das Ansehen der deutschen Betriebsräte längst ist. Irgendjemand muss schuld sein an der Arbeitslosigkeit. Da wirken mögliche Sexskandälchen wie die letzte Bestätigung. ULRIKE HERRMANN