Misstöne am Millerntor

Beim 2:2 gegen Karlsruhe verschenkt der FC St. Pauli zwei wichtige Punkte. Hinter den Kulissen rumort es

Von Marco Carini

Es war die wohl entscheidende Szene des Spiels. Völlig freistehend – der Karlsruher Torwart lag schon geschlagen am Boden – vergab RyōMiyaichi zehn Minuten vor Spielschluss das sichere 3:0, brachte das Kunststück fertig, aus nur fünf Metern über den leeren Kasten zu zielen. „Wenn er den macht, dann sind wir tot“, bekannte später Karlsruhes Trainer Alois Schwarz. So aber blieb der KSC, bis dahin ausschließlich mit Defensivaufgaben beschäftigt, im Spiel, kam noch zu zwei Chancen und verwertete diese konsequent zum 2:2-Ausgleich. Wieder einmal verschenkte der FC St. Pauli so in der Schlussphase wichtige Punkte und damit die Chance, in die erste Hälfte der Zweitliga-Tabelle vorzustoßen.

Alles also wie immer. Unter Trainer Jos Luhukay hat die Hamburger Zweitligatruppe im vergangenen halben Jahr immense spielerische Fortschritte gemacht, ist in der Lage, die meisten Gegner über weite Strecken des Spiels zu dominieren.

Aber eben nur über weite Strecken. Den Erstligisten Eintracht Frankfurt – der an diesem Wochenende Bayern München mal eben mit 5:1 wegfiedelte – spielten die Hamburger unter der Woche im Pokal 75 Minuten fast an die Wand – nur waren die Hessen in den ersten 15 Minuten schon mit 0:2 davongezogen – am Ende stand es 1:2. Und auch Karlsruhe kam am Samstag 80 Minuten nicht ins Spiel – um dann mit zwei Last-Minute-Toren den Ausgleich zu machen.

Elf Punkte gaben die Kicker vom Kiez in dieser Saison schon in den jeweils letzten Spielminuten her – und damit auch einen Platz an der Tabellenspitze. Dazu kommt die mangelnde Chancenauswertung. Seit vier Partien trafen die Hamburger – trotz zahlreicher Großchancen – nicht mehr aus dem Spiel heraus. Dass sie gegen Frankfurt einen und gegen Karlsruhe gleich zwei Elfmeter zugesprochen bekamen, die sie verwandelten, kaschiert die Abschlussschwäche nur.

Wo der Erfolg dauerhaft ausbleibt, rückt der Trainer in den Fokus. Noch kann sich Luhukay darauf ausruhen, das Team spielerisch nach vorne gebracht zu haben, doch dem Reizklima, das er in den Verein trägt, um die Spannung hochzuhalten, könnte der Niederländer irgendwann selber zum Opfer fallen. Immer wieder – zuletzt vor gut einer Woche – hält der 56-Jährige öffentliche Brandreden, in denen er mit der verbalen Sense die Funktionäre des Vereins – vor allem aber die eigenen Spieler niedermäht, ihnen etwa mangelnde Leistungsbereitschaft und spielerische Qualität vorwirft.

Diese Bemühungen Luhukays, eine Trotzreaktion des Teams herauskitzeln, vergiften zusehends die Atmosphäre. Zuletzt kritisierte er den seit Wochen sich in starker Form präsentierenden Torwart Robin Himmelmann so hart, dass dessen Berater sich genötigt sah, einzugreifen und zu kritisieren, es sei „unfassbar, wie man ohne Not so eine Baustelle aufmachen kann“.

So gibt es in den Kulissen derzeit eine Menge Misstöne am Millerntor. Und nicht nur dort. Am Samstag spielte die Stadionregie die falsche Gästehymne ab, die verdutzten Karlsruher mussten vor dem Spiel die Hymne des regionalen Erzrivalen aus Kaiserslautern – „Der FCK ist wieder da“ – über sich ergehen lassen.