CHINESIEN-WOCHE DER WAHRHEIT: BETRUNKENE TRIADEN UND IHRE TIRADEN

VON CORINNA STEGEMANN

Unlängst begab es sich – es muss vor einigen Dynastien gewesen sein –, dass mich ein merkwürdiger Umstand in das wundersame Ländchen Chinesien verschlug, wo mir Seltsames widerfuhr.

Es geschah während einer Aufführung in der Peking-Oper. Die Jaul- und Quietschlaute, die von der Bühne herüberbrandeten – die Darsteller brieten gerade zur Gaudi des Publikums lebendige Pudel –, diese Laute also stachen mir derart schmerzhaft in die Ohren, dass ich das Geschehen verlassen musste. Ich stieg eine düstere Treppe hinab, dann noch eine, ich öffnete alte Türen und befand mich endlich in einem unterirdischen Gewölbe von gigantischem Ausmaß. Ein breiter Fluss floss mitten hindurch, an seinen Ufern standen lebendige Drachen, die sich selbst durch Feuerspucken beleuchteten und auf dreibeinigen Schemeln lagen kleine Porzellanschälchen mit duftendem Opium. Ich war wie verwirrt.

Doch mir blieb nicht lange Zeit, um mich zu wundern, denn schon nahte vom Flusse eine prachtvolle, goldene Barke. Darin stand aufrecht ein kleiner Chinesier, der sich sein dichtes, schwarzes Haar so tief ins Gesicht gekämmt hatte, dass man sein linkes Auge gar nicht sehen konnte. „Willkommen im Hauptquartier der chinesiensischen Triaden, wir sind hier die Mafia, deren Oberhaupt ich bin“, begrüßte mich die seltsame Erscheinung in einem einschläfernden Singsang. Dann zog er mich auf sein Boot, um mir sein Reich zu zeigen.

Nach kurzer Fahrt legten wir bei einem unterirdischem Feld an. In engen Reihen standen dort dicht an dicht kleine Bäume mit zierlichen Ästen und Zweigen, an deren Ausläufern … Ja, sah ich denn richtig? Konnte das sein? Ich schwöre, mir stockte der Atem und mein Herz blieb minutenlang stehen: Aus allen Zweigen blinzelten mich Augen an, hunderte, nein tausende! Augen in allen Größen, mit langen Wimpern – und alle waren sie mandelförmig.

„Dies ist unsere Mandelaugenplantage“, sagte stolz der Triaden-Chef und riss sogleich ein großes Auge, in dessen Blick sich blankes Entsetzen spiegelte, von einem der Zweige. „Die Mandelaugen bilden die Grundlage für unseren Mandelaugenschnaps, den wir hier unten illegal brennen, um ihn dann in alle Welt zu schmuggeln.“ Mit diesen Worten hielt er mir das Auge, das sich schon sichtlich trübte, unter die Nase: „Hier, kosten Sie bitte, man muss sie essen, bevor sie sich schließen.“

Und nun kamen aus allen Winkeln flinke, kleine, chinesiensische Triadenmitglieder gepirscht, die lächelnd Gläser schwenkten, aus denen sie begierig Mandelaugenschnaps tranken. Und auch ich bekam ein Glas gereicht, das ich unter den vorwurfsvollen Blicken aus den Augen der Mandelaugenbäumchen genussvoll leerte. Und es blieb nicht das letzte Glas, das geleert wurde. Je betrunkener die Triaden wurden, desto häufiger brachen sie in aufgeregte Tiraden aus. Und wer jemals Triaden-Tiraden gehört hat, der kann sich vorstellen, wie äußerst fröhlich dieser Abend noch wurde – mit Opium, Mandelaugenschnaps und Triaden-Tiraden.