An jeder Ecke Harry Potter

Zunehmend boxen Bücherketten die Traditionshäuser aus den Fußgängerzonen: Die Insolvenz eines Hannoveraner Einzelhändlers liegt an Managementfehlern, aber auch an der Bücherglobalisierung

Früher trugen sie in Umfragen die rote Laterne. Jetzt hat das Allensbacher Institut für Demoskopie herausgefunden, dass die Buchhändler vor Politikern und Journalisten nur noch den drittletzten Platz in der Berufsprestige-Skala der Deutschen halten. Den 140 Mitarbeitern des Hannoveraner Traditionsbuchhändlers Schmorl & von Seefeld nützt das nicht mehr viel. Das Unternehmen, das seit 153 Jahren in der Bahnhofsstraße mitten im Zentrum residiert, hat Insolvenz angemeldet. Die Mitarbeiter erfuhren es auf einer außerordentlichen Betriebsversammlung am Dienstagabend. Ein bitterer Weg zum Amtsgericht, an dem Managementfehler, aber auch die Bücher-Globalisierung schuld sind.

„Früher wurden nur dort neue Geschäfte eröffnet, wo es Bedarf gab“, sagt Hans-Henning Orthey vom niedersächsischen Landesverband des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Doch die großen Filialisten scheren sich heute nur noch wenig um die Sättigung des Marktes, sagt Orthey, der in Lüneburg selber eine Buchhandlung betreibt. Die Ketten klapperten einfach die Städte nach Größe und Kaufkraft ab und „lassen dort eine Stecknadel fallen“. Weil die Großen bessere Margen im Großhandel erzielen und bei der Verwaltung sparsamer sind, boxen sie so immer mehr Klein- und Mittelständler aus den Fußgängerzonen. Marktführer Thalia fuhr im vergangenen Jahr mit seinen 131 Filialen 448 Millionen Euro Umsatz ein. Allein in Hamburg betreibt die Kette, die zum Parfümerieriesen Douglas gehört, elf Läden, in Niedersachsen und Bremen sind es sechs, je zwei in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Auch der Hannoveraner Platzhirsch Schmorl wollte expandieren. Allerdings hatte Inhaber Martin Schmorl selbst schon mit Thalia über eine Beteiligung reden müssen, nachdem Filialeröffnungen in Osnabrück und Göttingen gescheitert waren. Inzwischen ist die Hälfte der Anteile in der Hand eines anderen, bislang anonymen Gesellschafters „aus Finanzkreisen“. Brenzlig wurde es im September 2003 für die Hannoveraner. Damals nistete sich der Lübecker Buchhändler Weiland wenige hundert Meter entfernt von Schmorl ein. Weiland ist nicht nur mit 23 Buchhandlungen in Norddeutschland die Nummer 12 auf dem Gesamtmarkt, die Kette arbeitet auch mit deutlich weniger Personal als Schmorl. Auf 3.500 Quadratmetern Ladenfläche beschäftigt Weiland nur etwa 40 Mitarbeiter, bei Schmorl arbeiten auf 2.500 Quadratmetern mehr als drei Mal so viel. Insider sagen, selbst dieses Spar-Konzept trägt sich nicht.

Der Trend zu weniger Beratung schlägt sich längst in den Jobzahlen der Branche nieder: Gab es im Jahr 2002 noch 34.600 Beschäftigte im deutschen Buchhandelsgewerbe, waren es im vergangenen Jahr nur noch 33.000. Hintergrund ist für Buchhändler Orthey, dass man „leichte Titel wie Harry Potter mittlerweile an jeder Ecke kaufen kann“. Aber natürlich gehören zur Krise auch Konsumzurückhaltung und der stetig wachsende Anteil des Online-Handels: Während der Gesamtumsatz im Buch-Geschäft im vergangenen Jahr bei 9,1 Milliarden Euro stagnierte, fuhren Amazon & Co im vergangenen Jahr 27 Prozent mehr Umsatz ein. Fast jeder 20. Euro im Buchgeschäft in Deutschland wird mittlerweile per Mausklick bewegt.

Die Kleinen wie Orthey versuchen, die Entwicklung mit Qualität zu kontern: So lädt der Lüneburger zu Autorenlesungen oder Beratungsstunden mit Pferdetherapeuten ein. Es scheint, dass das Geschäft auch bei Schmorl weitergehen könnte. Wie viele Mitarbeiter die Insolvenz überstehen, ist jedoch ungewiss.