Volksfrontverdacht & Riesenrad-Rummel

Der Wahlkampf will einfach nicht so recht auf Touren kommen: Bayerns Ministerpräsident stoibert sich an der Mö müde durch seine Rede und SPD-Chef Müntefering wähnt sich noch einmal ganz oben und den Ausgang der Bundestagswahl völlig offen

„Die Stimmung hat sich geändert, nun heißt es Ärmel aufkrempeln und ran“

von Marco Carini

Noch einmal ganz nach oben und möglichst viel Rummel um die eigene Person herum. Das muss sich SPD-Chef Franz Müntefering gedacht haben, als er Teil zwei seines Hamburger Wahlkampfauftritts ins Dom-Riesenrad legen ließ. Und mag dabei übersehen haben, dass es danach mit ihm zwangsläufig steil bergab gehen musste.

Schon zuvor hatte Münte keinen festen Boden unter den Füßen gehabt: Teil eins seiner gestrigenWahlvisite hatte er auf einem Alsterdampfer absolviert. „Wir haben eine Chance, das Spiel ist wieder offen“, machte der Parteichef den Genossen Mut. Da sich die „Stimmung geändert“ habe, heiße es nun für die SPD: „Ärmel aufkrempeln und ran.“

Denn die Union, so hat Müntefering feinfühlig registriert, sei „nervös geworden“. Um sich gar nicht erst in der Debatte um mögliche Regierungspartner zu verstricken, erteilte der Meister des Stakkato-Vortrags einer großen Koalition wie einem Linksbündnis gleichermaßen Absagen, die er am Abend bei der zentralen Wahlveranstaltung auf dem Gänsemarkt wiederholte.

Unweit davon hatte am Dienstagabend bereits der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber seine Visitenkarte abgegeben. Dabei ließ der ehemalige Kanzlerkandidat seine Fans erst einmal im Regen stehen. Mehr als 20 Minuten passierte auf der an der Petrikirche aufgebauten Mobilbühne rein gar nichts, bevor sich der Bajuwar unter Triumphmarschklängen den Weg zum Rednerpult bahnte.

Die der nasskalten Witterung ausgesetzten Unionsanhänger, von denen es manche zur bevorstehenden HSV-Fernsehübertragung drängte, quittierten soviel Leerlauf mit vereinzelten Pfiffen. „Eine miese Inszenierung“, attestierte einer der Wartenden der Wahlkampfleitung schlechtes Timing. Diese hatte aber immerhin bei der Auswahl des Auftrittsortes Gespür bewiesen: Eingequetscht zwischen Petrikirche und Mönckebergstraße ließen sogarspärliche 500 ZuhörerInnen die Veranstaltung ausgebucht erscheinen.

Der hanseatisch reservierten Resonanz passte sich der bierzelt-verwöhnte Bayer problemlos an: Von Natur aus nicht mit rhetorischer Brillanz gesegnet, stoiberte er sein Pensum eine Stunde lang so solide wie glanzfrei herunter – der Funke mochte da auf das durchgeweichte Publikum nicht überspringen.

Wenig überraschendes Fazit der Stoiber-Rede: Rot-Grün habe die Republik heruntergewirtschaftet, nur mit der Union könne es wieder aufwärts gehen. Eine These, die Stoiber mit zahllosen Aspekten, internationalen Vergleichen und gewagten Fußball-Metaphern solange erbarmungslos variierte, bis die Botschaft auch beim letzten Zuhörer angekommen sein musste.

Betont knapp fiel dagegen die Betrachtung der Politikalternativen der Union aus: Steuersätze und Arbeitskosten senken, Steuerrecht vereinfachen und Steuerschlupflöcher schließen, lauten die nicht ganz neuen Parolen. Wie allerdings der von ihm wiederholt beschworene Wettbewerb um geringe Lohnkosten mit China und den ehemaligen Ostblock-Staaten ohne Massenverarmung gewonnen werden kann, ließ der Bayer lieber offen. Zur geplanten Mehrwertsteuererhöhung nur ein herausgequetschtes „problematische Entscheidung“ und dann schnell weiter im Text.

Kämpferischer als Stoiber zeigte sich dagegen CDU-Landeschef Dirk Fischer in seiner Begrüßungsrede, in der er das „Volksfront“-Gespenst in rot-rot-grünem Gewande auferstehen ließ. Bei nur einer Stimme mehr für SPD, Linkspartei und Grüne würden sich die drei zu einer Koalition vereinen, versuchte Fischer den Lagerwahlkampf zu beleben. Da Schröder nach der Wahl auf dem Abstellgleis landen werde, seien seine gegenteiligen Bekundungen wertlos und ein „Lafontaine in den Armen der Kommunisten“ bald ministrabel. „Links schlägt sich, links verträgt sich“, orakelte der CDU-Chef.

Was mehr noch allerdings für die möglichen Partner einer großen Koalition gelten dürfte.