Uli Hannemann Liebling der Massen: Gedankentausch beim Käsekauf
Sicher nicht zuletzt wegen der Touristen hat man in Kremmen den Edeka-Supermarkt gründlich modernisiert. Schließlich gibt es für die wenigen Einwohner des Städtchens im Landkreis Oberhavel auch noch je einen großen Lidl und Netto. Man muss also nicht dort kaufen, wo die Berliner unschlüssig ihre Einkaufswagen durch die Regalreihen mit komischem Schnickschnack schieben. Obwohl sie dünner sind als die Einheimischen, kommt man an ihnen kaum vorbei. Immer stehen sie müßig im Weg rum. Haben ja nichts zu tun, außer zu nerven. Einkaufen muss aber schnell gehen. Grillfleisch, Graubrot, Kasten Bier und ab zur Kasse. Der Wagen ein Panzer, der Laden das Schlachtfeld, der Einkauf der Krieg.
Aber ich bin ja so ein Edeka-Berliner, und wenn ich hier draußen bin, habe ich natürlich Zeit. Jede Menge Zeit. Da schaue ich mich gern um. Aha, selbst eine Bio-Abteilung gibt es nun mit so Körnchen. Können die dann picken, die Vögel; vielleicht fliegen sie dann endlich wieder weg. Unter den Ausgaben von „Märkischer Mahner“ und „Oranienburger Ohr“ liegt, versteckt wie ein Pornoheft (gibt es heutzutage überhaupt noch analoge Wixfibeln?), eine tagesfrische Westzeitung zu Einsicht, Kenntnisnahme und Erwerb aus. Und sie haben sogar Edelkäse aus dem imperialistischen Ausland, einem Nachbarland der BRD namens Frankreich.
Für diese Fremdware stelle ich mich eigens an der Käsetheke an. „Ich hätte gern das kleine Stück hier von dem Roquefort“, sage ich, wobei ich das e am Ende von „Roque …“ eher leicht ausspreche denn nur andeute, so wie man es in der Gegend um die Käsehöhlen von Roquefort herum im Gegensatz zum Hochfranzösischen tatsächlich tut – ich war ja mal da, Schüleraustausch, Westdeutschland, Herrschaftswissen, alles klar, knickknack –, Französisch war das Russisch der Westdeutschen, ein aufgezwungenes Schulfach, so ungeliebt wie überflüssig, nur wegen druschba respektive amitié.
Sie denkt vermutlich einfach nur „Klugscheißer.“ Und zwar aus genau denselben oben angeführten Gründen von Schüleraustausch bis knickknack. Vielleicht denkt sie auch noch, „ich hätte nie gedacht, dass ich die Russen mal so vermissen würde“, oder „am liebsten würde ich ihm seinen Rockfort direkt in seine arrogante Wessifresse schmieren – boah, wie das Zeug stinkt!“
Das gab es ja früher nicht. Schimmel galt als giftig und war nichts zum Essen – im Gegensatz zu Asbest. Stattdessen gab es den Streichkäseersatz der Marke „Kuhkleister“ vom VEB Käsekombinat Kackfurt, ein Schmierkäse für jede Stulle, der „La vache qui rit“ des Ostens. Bekannt war er auch als Bestandteil der „Sachsenschnitte“, dem DDR-Cordon-bleu aus panierter Jagdwurst, gefüllt mit Hinterformschinken und eben Kuhkleister.
„Wat …?“, fragt sie, und in dem einen Wort steckt wirklich alles drin, was sie da soeben gedacht hat. Plus „Arschloch.“ Also doch nicht „Klugscheißer“, schau einer an, wie man sich in den Menschen täuschen kann.
Ich sage dann, dass ich das klebrige Bunte da haben möchte, bitte, und zeige darauf. Sie hassen uns alle, und das verstehe ich nur zu gut, aber sie müssen nun mal leider irgendwo arbeiten, und die Asbestmine im benachbarten Drivenow hat nach der Wende dichtgemacht. Wir hingegen kommen her mit unserem Westgeld, haben nichts zu tun, bremsen für Störche, kaufen Angeberkäse und machen uns über sie lustig.
„Wat wolln Se denn mit dem Kochkäse?“ Sie unterbricht meine Gedanken. „Aber wir haben hier auch noch den Sainte-Maure-de-Touraine. Ziege. Bio. Hundert Gramm für nur 4,99 Euro. Bisschen mehr Awareness beim Käsekauf wäre schon ganz nice, Bürger.“
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