Sven Hansen über die Regierungserklärung in Hongkongs Legislativrat
: Ein Trauerspiel, viele Gründe

Es entbehrt nicht der Ironie, wenn Abgeordnete, die sich als Vertreter von Hongkongs Demokratiebewegung verstehen, die Regierungschefin im Parlament an ihrer Rede hindern. Umgekehrt zeigt Carrie Lams Ansprache, die sie vorsichtshalber schon auf Video aufgezeichnet hatte, ihr merkwürdiges Politikverständnis. Denn die Peking-treue Politikerin geht in den 50 Minuten nicht auf die Forderungen der seit Monaten andauernden Massenproteste ein. Sie versteift sich lieber auf die Lösung sozialer Probleme, um die politischen ausklammern zu können.

Dieses Trauerspiel im Legislativrat zeigt, dass Hongkong keine Demokratie ist und nach Lams und Peking Willen nicht werden soll. Die Abgeordneten sind nicht frei und demokratisch gewählt, weshalb diejenigen, die sich als Vertreter der Demokratiebewegung sehen, in ihrer Ohnmacht selbst zu undemokratischen Mitteln greifen. Ähnlich ist es mit Demonstranten, die sich fortgesetzt ignoriert fühlen, auch wenn sie in Millionenzahl auf die Straße gehen und seitdem glauben, dass sie sich nur noch mit Gewalt Gehör verschaffen können. Carrie Lam meint, die politischen Forderungen nach demokratischen Reformen und gegen Chinas zunehmende Einmischung offenbar ignorieren zu können. Denn sie ist nur Peking gegenüber verantwortlich und nicht den Hongkongern.

Die Autonomieformel „ein Land, zwei Systeme“ ist gescheitert. Sie hätte funktionieren können, wenn sich Peking aus Hongkong herausgehalten hätte. Doch in China dominieren Kontrollfreaks, die schon die den Tibetern und Uiguren zugesagte Autonomie nie akzeptierten. Jetzt blockiert Peking in Hongkong Lösungen, die den Demonstranten entgegenkommen. Deshalb können die USA im Handelskrieg mit Peking eine neue Front eröffnen. Pekings Vorwurf amerikanischer Doppelmoral ist berechtigt. Doch das Autonomie-Versprechen war nicht nur eine Zusage Hongkong gegenüber, sondern an die Welt. Dass Peking meint, den Verlust seiner Glaubwürdigkeit ignorieren zu können, ist ein weiteres Trauerspiel.

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