Kalte Zeiten

Populismus greift die Medien an – das gilt in den USA wie in Zentralamerika. Für unabhängigen Journalismus heißt das: Warm anziehen, durchhalten

Wie sich Präsidenten gerne sehen: Nochamtsinhaber Jimmy Morales vor vielen, vielen Journalisten Foto: Carlos Sebastián/Nómada

Aus Guatemala-Stadt Ewin Quiñonez

In der Nacht vom 8. November 2016 gab es ein politisches Erdbeben. Für einige Sekunden ließ das Erstaunen das Geräusch der Computer verstummen. Die auf eine riesige Leinwand geworfenen Zahlen bestätigten, dass die USA – entgegen allen Vorhersagen – einen populistischen, fremdenfeindlichen Antisystemmagnaten zum Präsidenten gewählt hatten. Das Establishment zerbrach, und der Weg, der damit eingeschlagen würde, war unbekannt. Als journalistischer Stipendiat erlebte ich diesen Augenblick in einem Büro von Univisión, einem der größten spanischsprachigen Nachrichtensender der USA.

Mit Trump begann ein neuer Abschnitt der Geschichte, in dem die konservativsten Kräfte einen neuen Anführer bekamen. Einen Sprecher. Der Wahlkampf des Republikaners fußte auf demagogischen Reden voller Beschimpfungen, Abwertungen und Hass. Eine der Zielscheiben dieser Angriffe war und ist die unabhängige Presse, die Medien, die die Macht zur Verantwortung ziehen, die Amtsmissbrauch öffentlich machen und politische Praktiken infrage stellen, die dem Gemeinwohl zuwiderlaufen. Kurz: der unbequeme Journalismus.

Ein Jahr zuvor war in Guatemala ein Outsider gewählt worden. Der Fernsehcomedian Jimmy Morales übernahm die Präsidentschaft dieses zentralamerikanischen Landes als Kandidat einer Partei, die den härtesten Teil der Armee repräsentiert, voll von nationalistischen und ultrakonservativen Diskursen. Und, eine Gemeinsamkeit mit dem Populismus eines Donald Trump: einen Hass auf die unabhängige Presse.

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Eswin Quiñónez, 36, ist stellvertretender Chefredakteur des Online­magazins Nómada in Guatemala. Nómada wurde 2014 gegründet und hat sich als investiga­tives Medium einen Namen gemacht.

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nomada.gt

Die Geopolitik Zentralamerikas verbündete sich mit den USA. Die Nähe der konservativsten Kräfte zur Macht und ihr Einfluss wurde sichtbar an Entscheidungen wie der Verlegung der Botschaft Guatemalas in Israel nach Jerusalem, den Abkommen über „sichere Drittstaaten“, der Antimigrationspolitik und dem Ende der Cicig, der UN-Juristenkommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala.

Angesichts dieser neuen Macht spielen die tiefgehenden Recherchen und Anklagen der unabhängigen Medien eine wichtige Rolle. Ein Journalismus, der wirklich zählt.

Im vergangenen Jahrzehnt wurden einige Medien gegründet, die neue Finanzierungsmodelle entwickelt haben, um sich aus dem finanziellen Würgegriff zu befreien, mit dem die Mächtigen anklagenden Journalismus und unbequeme Recherchen zu ersticken versuchen. Der Journalismus hat sich verändert und neu aufgestellt, um der Unterdrückung durch den Populismus zu widerstehen.

Der Journalismus erlebt einen Moment der Neuorientierung der gesamten Branche. Dutzende Medien auf der ganzen Welt haben ihre Produktionsweise umgestellt, um in der digitalen Welt mit dem Abwandern der Werbung und der Dominanz der führenden Internetkonzerne mithalten zu können. Das ist in Zentralamerika nicht anders, und es sind eine Reihe unabhängiger Medien entstanden, die darum kämpfen, das Wertvollste des Journalismus zu erhalten: eine öffentliche Meinung, die den Exzessen der Macht kritisch gegenübersteht.

Das Wertvollste des Journalismus: den Exzessen der Macht kritisch gegenüberstehen

Diese neuen Medien haben unter anderem Recherchen über Verhandlungen zwischen Regierung und kriminellen Organisationen veröffentlicht, über illegale Supergehälter, über unrechtmäßige Bereicherung, verbotene Wahlkampffinanzierung, Geschäfte von Angehörigen von Regierungsmitgliedern mit öffentlichen Geldern, unrechtmäßige Gesetzesänderungen, außergerichtliche Hinrichtungen. Sie haben in ihren Rechten bedrohten Teilen der Gesellschaft Platz und Stimme gegeben.

Dieser Avantgardejournalismus irritiert die Mächtigen. Die Unterstützerkreise der populistischen Regierungen haben Mechanismen entwickelt, um Medien und Journalisten zu verfolgen. Mit verschiedenen Methoden lenken sie die Konversation in sozialen Medien, um vom Inhalt der Recherchen abzulenken und stattdessen die Medien anzugehen. Sie haben Trumps „Fake News!“-Gerede aufgegriffen und Zweifel an den neuen Finan­zierungskanälen gesät, durch die sich insbesondere die unabhän­gigen Medien überhaupt halten können.

In ganz Zentralamerika ist Journalismus inzwischen ein Abenteuer. Medien und Journalisten sind bedroht und aus dem Land geworfen worden (Nicaragua), sind verfolgt und umgebracht worden (Honduras und Nicaragua), sind ausspioniert und finanziell abgewürgt worden (Guatemala und El Salvador). Private Daten von Journalisten wurden auf anonymen und gefälschten Plattformen veröffentlicht.

Um mit Lebensfreude – einer Spezialität der Menschen in diesem Teil der Welt – zu widerstehen, haben wir Journalisten solidarische Sicherheitssysteme entwickelt, zum Beispiel durch permanente Fortbildungen, durch genaues Verfolgen von Recherchereisen durch die Redaktionen, durch Ortswechsel, um Verfolgung zu verhindern, durch verschlüsselte Kommunikation, durch Sicherheitssysteme in den Mobiltelefonen und andere Schutzstrategien.

Die politische Lage scheint sich wenig zu ändern, und der Populismus wird wohl weitere Wahlerfolge feiern. So wird es vier Jahre in Guatemala, El Salvador und Honduras weitergehen – in Nicaragua gibt die Diktatur keinen Zentimeter nach. Das sind kalte Zeiten, in denen wir unabhängigen Medien nichts anderes tun können, als uns warm anzuziehen, um sie zu überstehen, und weiterhin für einen Journalismus einzutreten, der wirklich zählt, in einer Region, die wirklich zählt.