BERLINER STRASSEN
: Das Gröbenufer mit Schwan

über Geschichten am Ufer

HELMUT HÖGE

Nun nimmt auch in Westberlin die Ortsverwirrung durch Straßenumbenennungen zu. Kürzlich bekam erneut eine Straße in Kreuzberg einen neuen Namen: das Gröbenufer.

Halt!, werden Sie jetzt sagen, diesen Text hab ich doch gestern schon gelesen. Stimmt. Allerdings ging es darin nur um den durch die Kolonialgeschichte belasteten Namen der kurzen Promenade zwischen der Oberbaumbrücke und dem ehemals alternativen Fabrikkomplex in der Pfuelstraße. Dabei ist ihre eigene Geschichte nicht minder interessant.

Sie wurde 1987, zur 750-Jahr-Feier der Stadt, aufgehübscht. Für die Senioren des nahen Altenheims stellte man Bänke auf, damit sie auf die Spree kucken konnten. Dort war damals allerdings noch nicht viel zu sehen – außer ein paar Schwänen und einem Schnellboot der DDR-Grenzwache. Denn dieser Flussabschnitt war zur der Zeit quasi Todesstreifen. Auch von drüben sah man nicht viel, denn dort stand die Mauer. Sie wurde 1989 in einer Art Backpaker-Friedensrausch über und über bemalt. Seitdem heißt sie „East Side Gallery“ und es ankert dort ein Hostel-Schiff.

Damals war an diesem Flussabschnitt jedoch noch gar nichts los – deswegen kuckten die Rentner auf den Bänken gegenüber am Gröbenufer auch statt über die Spree lieber hinter sich – auf eine kleine Grünfläche mit sogenannten Drop-Sculptures, wo regelmäßig einige türkische Familien grillten. Deren großfamiliale Gemütlichkeit fanden sie als eher Vereinsamte interessanter. Die US-Planungskritikerin Toni Sachs-Pffeiffer kritisierten denn auch 1990 an der Gröbenuferplanung, dass man die Bänke andersrum hätte aufstellen müssen.

Kurz nach dem Mauerbau war es an diesem Spreeabschnitt zu zwei Fluchtversuchen von Schwimmern gekommen, die tödlich endeten, woraufhin 1961 am Gröbenufer eine Protestkundgebung stattfand. Die DDR ließ drüben Häuser abreißen, um eine bessere Sicht zu haben, und unter Wasser wurde später gegen schwimmende und tauchende Flüchtlinge eine Gittersperre errichtet.

Ein Republikflüchtling schaffte es aber doch noch: Er hatte sich einen hohlen Schwan übergestülpt, der so echt aussah, dass er unangefochten ans Gröbenufer gelangte. Zuletzt erwähnte die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar diesen Vorfall in einer ihrer Ost-West-Geschichten: „Die echten Schwäne kamen zu ihm, pickten an seinem künstlichen Schwanenkopf und schwammen mit ihm in den Westen. So hat man es mir erzählt.“

Nun wird die Promenade „rekonstruiert“, unter anderem kommt ein Café dort hin. Und umbenannt wurde sie inzwischen auch – in May-Ayim-Ufer. Aber das stand ja schon gestern an dieser Stelle.