Sex und Sühne

EREKTIONEN Nick Cave beschreibt einen scheiternden Schwanzträger: „Der Tod des Bunny Munro“

Nick Cave ist Vater. Das ist keine rasende Neuigkeit. Sein ältester Sohn wurde dieses Jahr volljährig. Aber um den zweiten Roman des Sängers besser verstehen zu können, ist es doch von Belang.

Cave erzählt in „Der Tod des Bunny Munro“ eine Vater-Sohn-Geschichte. Bunny Munro ist Vertreter für Kosmetikartikel, Kettenraucher, Dauersäufer und ausgestattet mit einem unersättlichen sexuellen Appetit. Überall sieht er nur einschlägige Signale, beständig plagt ihn „eine stramme, beulenpestartige Erektion“, vor allem, wenn er an die primären Geschlechtsorgane von Kylie Minogue oder Avril Lavigne denken muss, was er ständig tut. Ja, Munro ist ein Unsympath. Aber er hat eine Gabe: Schon seine Lachgrübchen sorgen dafür, dass „die Jungfernhäutchen reihenweise reißen“. Als sich aber seine depressive Frau umbringt, stürzt die Welt des schmierigen Frauenhelden in sich zusammen. Nach der Beerdigung geht er auf seine letzte Verkaufsreise, die mit dem im Titel versprochenen Tod des Protagonisten enden wird. Den neunjährigen Bunny Junior im Schlepptau, beginnt eine nachgerade epische Odyssee durch ein albtraumhaftes Südengland, das wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

Der gebürtige Australier Cave wohnt selbst seit einigen Jahren in Brighton, aber er ist nicht interessiert an der Verarbeitung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die bilden nur den pittoresken Hintergrund für den menschlichen Niedergang seines Helden. Den inszeniert Cave, der sich seit Jahrzehnten als Songschreiber, Drehbuchautor und in seinem ersten Roman „And The Ass Saw The Angel“ an biblischen Motiven abarbeitet, als zwangsläufigen Abstieg in die Hölle. Er erzählt gradlinig und linear, als wollte er die parabelhafte Klarheit eines Gleichnisses aus dem Buch der Bücher nachempfinden. Einzige modischer Schmuck ist der beständige Wechsel der Perspektive zwischen Vater und Sohn Bunny Munro. Der zu leichtem Autismus neigende Neunjährige dient als Stimme der Vernunft, eine Rolle, die die Figur bisweilen etwas unglaubwürdig erscheinen lässt.

Eindrucksvoll gelingt Cave dafür, in seinen tragikomischen Helden zu schlüpfen. Das Buch ist noch keinen Absatz alt, da hat der halbnackte Bunny, „allein mit seinen Trieben“, bereits ein Schnapsfläschchen geleert und „sich irgendeine beliebige Muschi“ vorgestellt. Fortan segelt Cave hart an der Grenze zur Pornografie und entwickelt eine unglaubliche Könnerschaft darin, immer wieder aufs Neue zu beschreiben, wie sich die Manneskraft seines Protagonisten regt.

Vor allem aber bündelt Cave in seiner Hauptfigur viele Dämonen: die Furcht vor einem dominanten, lieblosen Vater; die Panik, den eigenen Sexualtrieb nicht kontrollieren zu können; die Sorgen um den beruflichen Erfolg; und nicht zuletzt und vor allem die Versagensangst angesichts des eigenen Vaterseins.

Ein guter Mensch sein

Diese Motive führt Cave mit der ihm eigenen drastischen, aber doch diffizilen Sprachgewalt aus, die in bisweilen erstaunlichem Kontrast steht zur profanen Eindimensionalität der beschriebenen Gelüste. Mit diesem Werkzeug entwirft er nun einen Prototyp des Schwanzträgers, den Inbegriff der männlichen Selbstüberschätzung und ihres Scheiterns. Inspiriert dazu hat ihn, ließ er verlauten, das S.C.U.M.-Manifest der Feministin Valerie Solanas. Die hatte, bevor sie versuchte, Andy Warhol umzubringen, geschrieben: „Männlichkeit ist eine Mangelkrankheit. […] Er ist ein vollkommen isoliertes Einzelwesen, unfähig zu irgendwelchen Beziehungen mit anderen.“ Damit ist Bunny Munro in seinem eingeschränkten Facettenreichtum bereits schlüssig beschrieben. „Ich fand es schwer“, beschließt der sein erbärmliches Leben, „auf dieser Welt ein guter Mensch zu sein.“

„Der Tod des Bunny Munro“ ist eine Variation der Themen, die Nick Cave immer schon umgetrieben haben: Besessenheit und Verdammnis, Sex und Tod, Schuld, Sünde und Sühne. Erstaunlich bleibt nur, wie der mittlerweile 52-Jährige diesen Themen immer noch etwas Gewinnbringendes abgewinnen kann. THOMAS WINKLER

Nick Cave: „Der Tod des Bunny Munro“. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 320 Seiten, 19,95 Euro